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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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gefährlich, als sich zu duellieren. Die traditionellen Pilgerwege waren nicht immer benutzbar; manchmal musste man seinen Reiseplan ändern, um einem Seuchengebiet oder Straßenräubern auszuweichen. Einmal wechselte Montaigne seine geplante Route nach Rom, nachdem er von bewaffneten Raubüberfällen gehört hatte. Manche reisten mit Begleitschutz oder im Konvoi. Montaigne war bereits mit einer großen Gruppe unterwegs, was die Sache erleichterte, aber auch unerwünschte Aufmerksamkeit erregen konnte.
    Es gab auch noch andere Unannehmlichkeiten. Beamte mussten bestochen werden, besonders in Italien, das für seine Korruption und bürokratischen Exzesse berüchtigt war. Überall in Europa waren die Stadttore schwer bewacht. Man musste die richtigen Ausweise, eine Reiseerlaubnis und Gepäckscheine vorlegen sowie ordentlich gestempelte sogenannte Pestbriefe, die bestätigten, dass man nicht durch ein Seuchengebiet gereist war. An den Kontrollpunkten der Städte bekam man oft einen Passierschein für den Aufenthalt in einem bestimmten Hotel, der vom Hotelbesitzer gegengezeichnet werden musste. Es war wie eine Reise durch Ostblockstaaten mitten im Kalten Krieg, allerdings mit sehr viel größerer Rechtsunsicherheit und größeren Gefahren.
    Hinzu kamen die Unannehmlichkeiten der Reise selbst. Man reiste meist zu Pferd. Man konnte zwar auch eine Kutsche mieten, aber die Sitze waren in der Regel härter als ein Pferdesattel. Montaigne bevorzugte das Reiten. Er kaufte und verkaufte unterwegs Pferde oder mietete welche für kürzere Strecken. Flussfahrten waren eine weitere Option, aber Montaigne wurde leicht seekrank und vermied sie daher. Das Reiten verschaffte ihm die Freiheit, nach der er sich sehnte, und erstaunlicherweise empfand er auch während einer Nierenkolik die Fortbewegung im Sattel als besonders angenehm.
    Was er am Reisen vor allem liebte, war das Gefühl des «maßvollen Bewegtseins». Starre Reisepläne lehnte er ab. «Sieht es rechts bedenklich aus, wende ich mich nach links; fühle ich mich zu schlecht, mich in den Sattel zu schwingen, bleibe ich, wo ich bin.» Er reiste so, wie er las und schrieb. Leonard Woolf, der mehr als dreihundert Jahre später mit seiner Frau durch Europa reiste, sagte über Virginia, sie hätte sich bewegt wie ein Wal, der den Ozean nach Plankton durchstreift, und eine «passive Wachsamkeit» kultiviert, eine eigenartige Mischung aus «Hochgefühl und Entspannung». Ähnlich Montaigne. Er rollte «im Dahinrollen der Himmel gelassen mit», wie er es genüsslich formulierte, allerdings mit dem Vergnügen eines Kindes, das alles zum ersten Mal und mit höchster Aufmerksamkeit erlebt.
    Er machte nicht gern Pläne, wollte aber auch nichts verpassen. Sein Sekretär, der ihn begleitete und eine Zeitlang sein Reisetagebuch führte, notierte, Montaignes Reisebegleiter hätten sich über seine Angewohnheit beklagt, vom Weg abzuweichen, wenn er von Merkwürdigkeiten an diesem oder jenem Ort hörte, die ihn neugierig machten. Aber Montaigne entgegnete nur, er könne gar nicht vom rechten Weg abweichen, weil es gar keinen gebe. Festgelegt habe er sich nur darauf, lauter unbekannte und fremde Städte und Gegenden zu durchreisen. Solange er also einen Weg nicht zweimal gehe und einen Ort nicht doppelt besuche, könne man ihm keinen Fehler seines Reiseplans vorwerfen.

    Das Einzige, was ihn bremste, war sein später Aufbruch. «Da ich Spätaufsteher bin, kann mein Gefolge in aller Ruhe vor dem Weiterreisen das Mittagsmahl einnehmen.» Das entsprach seiner sonstigen Gewohnheit, denn er kam morgens nur schwer in die Gänge. Insgesamt jedoch versuchte er, auf Reisen mit seinen Gewohnheiten zu brechen. Im Unterschied zu anderen Reisenden verschmähte er nicht die regionale Küche und ließ sich das Essen so servieren, wie es an dem jeweiligen Ort üblich war. Er bedauerte, seinen Koch nicht mitgenommen zu haben – nicht weil er die heimatliche Küche vermisste, sondern weil der Koch keine Rezepte der fremden Gerichte mit nach Hause nehmen konnte.
    Er schämte sich, wenn er beobachtete, wie sehr sich seine Landsleute freuten, im Ausland einem Franzosen zu begegnen. Sie rückten hautnah zusammen und verbrachten ganze Abende damit, sich lautstark über das barbarische Verhalten der Einheimischen auszulassen. Dabei waren sie noch die Einzigen, die fremde Bräuche überhaupt wahrnahmen. Andere reisten «verschlossen, in ein misstrauisches und sich jeder Kommunikation versagendes Schweigen gehüllt, um

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