Wie soll ich leben?
so eigenwillig verschlungenen barocken Stil, dass jeder Satz sofort Browne zuzuordnen ist.
Auf dem Höhepunkt dieser hochgradig exzentrischen Phase der Montaigne-Rezeption in England trat ein neuer Übersetzer auf den Plan, der alles ein wenig geraderückte: Charles Cotton, dessen Neuübertragung 1685 und 1686 erschien, nicht lange nachdem die Essais in Frankreich auf den Index gesetzt worden waren. Cotton war genauer als Florio, und seine Übersetzung machte die Essais einer neuen Generation englischer Leser bekannt. Überraschenderweise war der Autor dieser sehr viel zurückhaltenderen Übersetzung von seinem Naturell her weitaus unberechenbarer und dilettantischer als Florio. Cotton selbst betrachtete seine skatologischen burlesken Gedichte als seine bedeutendste Leistung. Er beschrieb sich einmal selbst als einen «nordländischen Trottel» (a Northern clod) , der allabendlich im Pub herumhing und Ale trank, bevor er sich in seine Bibliothek zurückzog, um
Anzügliche Briefe zu schreiben und manchmal alte Tonnenmärchen, Geschichten aus der Guyen[n]e und der Provence zu übersetzen Und die alten Haudegen Frankreichs unter die Leute zu bringen.
Charles Cottons Ruhm unterlag nach seinem Tod so merkwürdigen Wandlungen wie der von Montaigne und Shakespeare, freilich auf einem sehr viel niedrigeren Niveau. Im 19. Jahrhundert wurden seine komischen Verse als abstoßend betrachtet, dafür aber seine Naturgedichte geschätzt, für die seine Zeitgenossen nichts übriggehabt hatten;später gerieten auch diese Verse in Vergessenheit. Man feierte ihn jetzt wegen eines Kapitels über «Forellenkitzeln» in Isaac Waltons The Compleat Angler , selbst wiederum ein höchst montaigneskes Werk. Außer vielleicht unter Anglern ist dieser Text heute vergessen. Cotton ist vor allem als Montaigne-Übersetzer in Erinnerung geblieben.
Cottons Übertragung blieb mehr als zweihundert Jahre lang die Standardübersetzung, und sie brachte Montaigne einer neuen Generation weniger barocker Autoren näher, die mehr an den psychologischen Details des Alltagslebens als an den Spinnweben der Phantasie interessiert waren. Alexander Pope notierte in seinem Exemplar der Cotton-Übersetzung: «Das ist (meiner Ansicht nach) das beste Buch, das je über menschliches Verhalten geschrieben wurde. Dieser Autor sagt nichts anderes als das, was jeder in seinem Herzen fühlt.» Und ein Kritiker meinte in der literarischen Zeitschrift The Spectator , wenn Montaigne seine persönlichen Erlebnisse und Eigenheiten für sich behalten hätte, wäre er zwar als besserer Mensch erschienen, zugleich aber ein sehr viel weniger unterhaltsamer Autor gewesen. Mit Charles Dédéyan zu sprechen: Engländer ließen einen Autor gern drauflosschwadronieren, solange er es auf angenehme Weise tat.
Von nun an gab es keinen Mangel mehr an englischen Essayisten, die genau so schrieben. Sie bildeten «Montaignes wahre Familie», wie es der Kritiker Walter Pater formulierte: Sie demonstrierten «jene Intimität, jene moderne Subjektivität, die man als das montaigneske Element der Literatur bezeichnen könnte». Zu ihnen gehörte der populäre Essayist Leigh Hunt, der sein Exemplar der Essais mit Unterstreichungen und – oft ziemlich albernen – Kommentaren füllte. Wenn Montaigne von einem Jungen ohne Hände erzählt, der ein Schwert und eine Peitsche schwang wie in Frankreich jeder Kutscher, notierte Hunt an den Rand: «Mit seinen Armen natürlich. Trotzdem ist es erstaunlich.»
Ein intellektuell schärferer Bewunderer Montaignes war William Hazlitt, der ihn dafür gelobt hatte, dass er sich nicht als Philosoph gebärdete. Hazlitts Kriterien zur Beurteilung eines guten Essayisten verdeutlichen, was die Engländer jetzt bei Montaigne suchten. Solche Autoren, so Hazlitt, sammelten Merkwürdigkeiten des menschlichen Lebens wie Hobbybiologen Muschelschalen, Fossilien oder Käfer, währendsie auf einem Waldpfad oder am Strand spazieren gehen. Sie nahmen die Dinge, wie sie wirklich waren, nicht, wie sie sein sollten. Montaigne war der Beste von allen, weil er alles so hinnahm, wie es war, auch sich selbst. Für Hazlitt enthält ein idealer Essay
Details unserer Kleidung, unserer Miene, unseres Aussehens, unserer Worte und Gedanken; er zeigt uns, was wir sind und was wir nicht sind; er führt uns das ganze Spiel des menschlichen Lebens vor Augen, und indem er uns zu aufgeklärten Zuschauern seiner vielfarbigen Szenen macht, versetzt er uns (wenn möglich) in die Lage, leidlich
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