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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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bekam er Durchfall und Bauchschmerzen. Er schickte Montaigne eine Nachricht, er fühle sich nicht recht wohl, und fragte, ob Montaigne nicht stattdessen zu ihm kommen wolle, was der sofort tat. Über die nachfolgenden Ereignisse wissen wir aus einem Brief Montaignes an seinen Vater, den Montaigne schließlich veröffentlichte.
    Als Montaigne bei d’Escars eintraf, fand er seinen Freund in Schmerzen. La Boétie vermutete, er habe sich erkältet, aber es schien etwas Ernsteres zu sein. Die beiden erwogen bereits die Möglichkeit der Pest, die sich zu jener Zeit dort sowie in Bordeaux und Agen ausbreitete, wo La Boétie erst kürzlich beruflich zu tun gehabt hatte. Wenn La Boétie sich nicht bereits angesteckt hatte, war er jetzt, in diesem geschwächten Zustand, anfällig für die Seuche. Montaigne riet ihm, ein von der Pest verschontes Gebiet aufzusuchen und bei seiner, Montaignes, Schwester und seinem Schwager zu bleiben, den Lestonnacs. Aber La Boétie fühlte sich nicht imstande, diese Reise anzutreten. Tatsächlich war es schon zu spät: Er hatte sich wohl bereits angesteckt.
    Montaigne verließ den Freund, doch am nächsten Morgen schickte La Boéties Frau ihm die Nachricht, der Zustand des Kranken habe sich verschlechtert. Montaigne verbrachte auf La Boéties Bitte die Nacht bei ihm. «Als ich eintrat, bezeugte er deutlich seine Freude, mich zu sehen, und als ich Abschied nehmen wollte […], bat er mich mit mehr Zuneigung und Dringlichkeit, als er je bei einem anderen bezeigt hatte, ich möge, soviel wie es mir möglich sei, bei ihm verweilen.» Er blieb auch in der folgenden Nacht, während sich La Boéties Zustand weiter verschlimmerte. Am Samstag sagte La Boétie, seine Krankheit sei ansteckend, was darauf hindeutet, dass er wusste, es war die Pest. Er bat Montaigne erneut, bei ihm zu bleiben, aber immer nur für einekurze Zeitspanne, um die Ansteckungsgefahr geringer zu halten. Dieser Anweisung leistete Montaigne nicht Folge: «Ich verließ ihn darauf nicht mehr.»
    Am Sonntag überkam La Boétie eine große Schwäche, und er halluzinierte. Später sagte er, «er hätte sich in einer großen Verwirrung aller Dinge gefunden und nichts gesehen als eine dichte Wolke und einen finsteren Nebel, in dem alles regellos durcheinanderschwamm, doch sei dieser Zustand nicht unangenehm gewesen». Montaigne versicherte ihm: «Der Tod hat nichts Schlimmeres als das, mein Bruder», worauf La Boétie zurückgab, in der Tat, es gebe nichts Schlimmeres. Von dem Augenblick an, so gestand er Montaigne, habe er die Hoffnung aufgegeben.
    La Boétie beschloss, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und bat Montaigne, seine Frau und seinen Onkel in ihrer Trauer um ihn zu trösten. Sobald La Boétie dazu bereit war, versammelte Montaigne die Familie um das Sterbebett. Sie «legten ihr Gesicht zurecht, so gut sie vermochten». La Boétie teilte ihnen mit, was er in seinem Testament zu schreiben gedachte. Die meisten seiner Bücher vermachte er Montaigne. Dann ließ er einen Priester kommen. La Boétie hatte sich für seine Reden auf dem Sterbebett so sehr in der Gewalt, dass Montaigne wieder Hoffnung schöpfte, aber sobald der Kranke die Anstrengung hinter sich gebracht hatte, verschlechterte sich sein Zustand erneut.
    Ein paar Stunden später sagte Montaigne zu seinem Freund, er sei «vor Scham errötet, weil mir der Mut fehlte, das anzuhören, was er, der doch so schwer zu leiden hatte, mir zu sagen den Mut besaß». Er versprach, sich an sein Beispiel zu erinnern, wenn die Zeit gekommen sei. Ja, meinte La Boétie, das sei gut. Er rief Montaigne die vielen erhellenden Gespräche in Erinnerung, die sie über diese Themen geführt hatten. Dies seien, sagte er, «die wahren praktischen Verwertungsmuster unserer Studien und der Philosophie».
    Er ergriff Montaignes Hand, versicherte ihn, er habe in seinem Leben schon viel schwerere und schmerzlichere Dinge getan. «Und wenn alles gesagt sein soll, so bin ich seit langer Zeit darauf vorbereitet gewesen, und seit langer Zeit wusste ich meine Lektion auswendig.» Wie Montaigne hatte auch er den Rat der antiken Philosophen befolgtund sich auf seinen Tod vorbereitet. Schließlich, so fuhr er fort, ganz im Sinne der antiken Weisheit, habe er lange genug gesund und glücklich gelebt. Es gebe nichts zu bedauern. «Ich war gerade im Begriff, in mein dreiunddreißigstes Jahr zu treten», sagte er. «Gott hat mir diese Gnade erwiesen, dass mein ganzes Dasein bis zu dieser Stunde des Lebens

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