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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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aber nicht die, die ich brauche, und dann, um alles zu sagen, ich habe kein Sein mehr.»
    Es war schwer, darauf eine Antwort zu finden. Montaigne versuchte ihn zu trösten: «Gott wird Euch bald ein besseres geben», sagte er.
    «Wäre ich nur schon dort», versetzte er, «seit drei Tagen zerre ich, um aufzubrechen.»
    In den folgenden Stunden habe der Sterbende immer wieder nach ihm gerufen, schrieb Montaigne, «nur um sich zu überzeugen, dass ich bei ihm war». Montaigne wich nicht von seiner Seite.
    Seit ihrem konventionellen Anfang war Montaignes Beschreibung zunehmend ergreifender und gleichzeitig unheimlicher geworden. Er wollte mitteilen, was tatsächlich gesagt und getan wurde, ungeachtet der philosophischen Bedeutung des Geschehens. La Boétie selbst eiferte nunmehr keinen Vorbildern mehr nach. Mit seiner Bitte, einen Platz für ihn zu schaffen, schien sein Unbewusstes gesprochen zu haben – wie aus Montaigne, als er wenige Jahre später delirierte und an seinem Wams zerrte.
    Gegen zwei Uhr morgens wurde der Kranke endlich ruhig, ein gutes Zeichen. Montaigne ging aus dem Zimmer, um es La Boéties Frau zu sagen, und sie freuten sich über die Besserung. Doch eine Stunde später, als Montaigne in das Zimmer des Kranken zurückkam, wurde La Boétie erneut unruhig. Er rief ein paar Mal Montaignes Namen. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und hörte auf zu atmen. La Boétie war gestorben, «gegen drei Uhr morgens, am Mittwoch, dem achtzehnten August des Jahres tausendfünfhundertdreiundsechzig, nachdem er zweiunddreißig Jahre, neun Monate und siebzehn Tage gelebt hatte», wie Montaigne schrieb.
    Das also war der Tod. Es war wahrscheinlich Montaignes erste unmittelbare Erfahrung mit dem Tod eines Menschen, den er innig liebte. Der körperliche Verfall war ein Schock, vor allem bei einer so schrecklichen Krankheit, obwohl Montaigne nichts von der Angst schreibt, sich anzustecken. Zu den Gedanken, die ihm durch den Kopfgegangen sein mögen, zählte etwas, das ihm später im Licht seiner eigenen Erfahrung ganz klar vor Augen trat: die Hoffnung, dass der Tod für den, der ihn erleidet, etwas Sanftes ist, so dramatisch das Sterben auch aussehen mag. Er hatte diese Frage einmal mit La Boétie erörtert, der ihm widersprochen hatte. Jetzt mag Montaigne inständig gehofft haben, dass er mit seiner Ansicht recht hatte. Der Gedanke, dass La Boétie nichts als ein Wohlgefühl empfand, während sein Körper schwitzte und in Agonie lag, war tröstlich. Als Montaigne später darüber schrieb, wie er selbst das Bewusstsein verloren hatte, griff er den alten Streit wieder auf: «Siehst du, du hast nicht gelitten, oder?» Und er konnte nur hoffen, dass La Boétie geantwortet hätte: «Nein.»
    Montaigne verwandelte seinen Schmerz zwar in Literatur, aber seine Trauer war überwältigend, und sie wuchs mit der Zeit immer mehr. Nach La Boéties Tod war um ihn «nichts als freudlose, dunkle Nacht». Auf seiner Reise nach Italien fast achtzehn Jahre später schrieb er in sein Tagebuch: «Als ich am selben Morgen einen Brief an den Herrn d’Ossat schrieb, verfiel ich in ein derart quälendes Grübeln über den Herrn de La Boétie und konnte mich derart lange nicht daraus befreien, dass mich dies völlig niederwarf.» In den Essais bekannte er auch, wie er sich in Italien nach einem echten Gefährten gesehnt hatte, nach jemandem, dessen Wesensart mit seiner eigenen übereinstimmte und dem es Freude gemacht hätte, ihn zu begleiten. «Ein solcher hat mir auf all meinen Reisen schmerzlichst gefehlt.»
    An keinem Vergnügen, das ich nicht mit einem teile, finde ich Geschmack. Kaum dass mir ein heitrer Gedanke in den Sinn kommt, ärgere ich mich schon, dass dies in der Einsamkeit geschieht und ich niemand habe, dem ich ihn vortragen kann.
    Er schloss nie die Möglichkeit aus, jemanden zu finden, der La Boéties Rolle übernehmen konnte. Seneca zufolge muss ein weiser Mann danach streben, den Verlust eines Freundes auszugleichen. Manchmal scheint Montaigne in den Essais diesem Ratschlag folgen zu wollen. Er hoffte, dass dieses Buch «einem wohlgesinnten Mann» gefallen möge, der nach ihm suchte. Er hatte aber nicht wirklich das Gefühl, dass es für La Boétie einen adäquaten Ersatz geben könne:
    Ist es da nicht eine ausgemachte Dummheit von mir, mit tausend Menschen uneins zu sein, an die mich das Schicksal bindet […], mich an ein unsinniges Verlangen nach Dingen zu klammern, die mir doch unerreichbar sind?
    Wenn Montaigne sich

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