Wie soll ich leben?
Essais widmete: Diane de Foix, Comtesse de Gurson, Marguerite de Gramond und Mme d’Estissac, deren Sohn Montaigne später nach Italien begleitete. Vor allem aber schloss Montaigne Freundschaft mit der Mätresse Heinrichs von Navarra, des späteren Königs Heinrich IV.: Dianed’Andouins, Comtesse de Guiche et de Gramont, bekannt unter dem Namen Corisande, nach der Protagonistin einer der von ihr geschätzten Ritterromane.
Um mit all diesen Leuten den Kontakt zu pflegen, musste Montaigne an vielen gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen, auch wenn er sie insgeheim verabscheute. Hatte er Gäste, veranstaltete er in seinem Wald eine Hirschjagd, obwohl er die Jagd hasste. Erfolgreicher mied er Turnierwettkämpfe, die er für gefährlich und sinnlos hielt. Auch Gesellschaftsspielen – Karten- und Ratespielen – suchte er sich möglichst zu entziehen, vielleicht weil er nach eigenem Bekunden nicht gut darin war.
Oft kamen umherziehende Akrobaten, Tänzer, Hundedresseure und menschliche «Monstren» auf sein Schloss, die sich mit ihren Vorführungen ihren Lebensunterhalt verdienten. Montaigne ließ sie gewähren, blieb aber unbeeindruckt von Darbietungen wie dem Auftritt jenes Mannes, der Hirsekörner durch ein Nadelöhr werfen konnte. Mehr interessierten ihn die brasilianischen Tupinambá-Eingeborenen, denen er in Rouen begegnete. Und er legte beträchtliche Entfernungen zurück, um Berichten über menschliche Abnormitäten auf den Grund zu gehen: beispielsweise über ein Kind, das mit einem anderen zusammengewachsen war, dem der Kopf fehlte. Er besuchte einen hermaphroditischen Hirten im Médoc und begegnete einem Mann ohne Arme, der mit seinen Füßen eine Pistole laden und abfeuern, eine Nadel einfädeln, nähen, schreiben, sich die Haare kämmen und Karten spielen konnte. Auch er verdiente sich mit seinen Darbietungen seinen Lebensunterhalt, aber Montaigne fand ihn interessanter als den Mann mit den Hirsekörnern. Die Leute sprechen von Monstren, schrieb er, aber diese Menschen seien «wider die Gewohnheit», nicht «wider die Natur». Wirklich abwegig war für ihn etwas anderes:
Dafür habe ich auf der ganzen Welt bisher kein ausgeprägteres Monster und Mirakel gesehn als mich selbst. Zeit und Gewöhnung machen einen mit allem Befremdlichen vertraut; je mehr ich aber mit mir Umgang pflege und mich kennenlerne, desto mehr frappiert mich meine Ungestalt, desto weniger werde ich aus mir klug.
Montaignes Landgut war also ein Tummelplatz für Menschen unterschiedlichster Art und Herkunft. Es herrschte eine Atmosphäre wie auf einem Dorf, weniger wie in einem Privathaus. Auch wenn er sich zum Schreiben in seinen Turm zurückzog, war es selten still um ihn herum. Überall wurde geredet und gearbeitet. Vor seinem Fenster wurden Pferde aus dem Stall heraus- oder hineingeführt, Hühner gackerten, Hunde bellten. Zur Zeit der Weinlese war die Luft erfüllt vom Klappern der Weinkeltern. Selbst mitten in den Kriegswirren pflegte Montaigne ein offeneres Haus als andere – ungewöhnlich in so gefährlichen Zeiten.
In mancher Hinsicht war Montaignes kleine Welt ein Universum mit einer ganz eigenen Werteordnung und einer freizügigen Atmosphäre. Sein Haus war keine Festung, wer ans Tor klopfte, war willkommen, auch wenn Montaigne sich der Gefahren bewusst war und zugab, dass er manchmal mit dem Gedanken zu Bett ging, er könne von einem umherstreifenden Soldaten oder einem Landstreicher im Schlaf ermordet werden. Aber ihm ging es ums Prinzip. Wenn Montaigne schrieb, es sei sein wesentlicher Charakterzug, «mich mitzuteilen und zu offenbaren», meinte er nicht nur geselliges Geplauder, sondern die freie, aufrichtige Kommunikation – selbst mit denen, die entschlossen schienen, ihn zu töten.
Offenheit, Gnade und Grausamkeit
Giovanni Botero, ein politischer Schriftsteller Italiens, der in den 1580er Jahren in Frankreich lebte, schrieb, die ländlichen Gebiete Frankreichs seien in jenem Jahrzehnt so voller Diebe und Mörder gewesen, dass jedes Haus «Wachposten in den Wein- und Obstgärten» hätte haben müssen, außerdem «Tore, Schlösser, Riegel und Mastiffs». Botero hatte offenkundig nicht Montaignes Anwesen besucht, denn dieses hatte als einzige Bewachung «nach altem Brauch einen Pförtner», wie Montaigne schrieb, «dessen Aufgabe es weniger ist, das Tor zu verteidigen, als es zuvorkommend und freundlich zu öffnen».
Montaigne wollte sich nicht einschüchtern und einsperren lassen, war aber zugleich überzeugt,
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