Wie soll ich leben?
Bewirtschaftung seiner Güter, sondern an den französischen König Heinrich IV., der Montaigne gern in seinen Diensten gehabt hätte. Diesem Ansinnen widerstand Montaigne mit einer an Unverschämtheit grenzenden Entschiedenheit, die seiner Haltung gegenüber den Anforderungen entsprach, die zu Hause an ihn gestellt wurden. Faulheit war aber nur die eine Hälfte seiner Selbstbeschreibung. Als Idealbild schwebte ihm Hippias von Elis vor, ein griechischer Sophist aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., der sich in Selbstgenügsamkeit übte, sich beibrachte, zu kochen, sich zu rasieren, seine Kleidung und seine Schuhe und überhaupt alles, was er zum Leben brauchte, selbst anzufertigen. Eine glänzende Idee, wie Montaigne fand. Dennoch: Ein selbstgenügsamer Montaigne, der sein Wams mit Nadel und Faden näht, seinen Garten umgräbt, Brot backt und das Leder für seine Stiefel selbst gerbt, ist schwer vorstellbar – und war es wohl auch für ihn selbst.
Wie üblich verharrte er in einem Schwebezustand zwischen Aufbegehren und Kompromissbereitschaft. Wenn ihn die Demonstration seiner Unfähigkeit nicht von der Verantwortung entbinden konnte, knickte er ein und tat, was man von ihm verlangte, wahrscheinlich sogar akribischer, als er zuzugeben bereit war.
Nietzsche sprach von freien Geistern, «Freigesinnten», die «mit einem kleinen Amte oder einem Vermögen, das gerade zum Leben ausreicht, gerne sich zufrieden geben; denn sie werden sich einrichten, so zu leben, dass eine große Verwandlung der äußeren Güter, ja ein Umsturz der politischen Ordnungen ihr Leben nicht mit umwirft». So jemand, fügte er hinzu, «wird vorsichtig und etwas kurzatmig sein». Das klingt so sehr nach Montaignes Arrangement auf seinem Anwesen, dass man sich fast fragt, ob Nietzsche nicht an ihn dachte, insbesondere da er hinzufügt, ein solcher Mensch müsse «darauf vertrauen, dass der Genius der Gerechtigkeit etwas für seinen Jünger und Schützling sagen wird, wenn anschuldigende Stimmen ihn arm an Liebe nennen sollten».
Montaigne war der Erste, der diesen schweren Vorwurf gegen sich selbst erhob. Andere betrachteten es als Aufforderung, die Beschuldigung zu wiederholen, allerdings harsch und ohne Montaignes oder Nietzsches Sinn für Ironie. Doch weder in seinen Schriften noch in seinem Charakter war Montaigne jemals so strikt. Je mehr er sich bemüht, uns von seiner Kälte und Distanziertheit zu überzeugen, desto mehr treten uns andere Bilder vor Augen: Montaigne, wie er im Parlament von Bordeaux aufspringt und sich an einer Debatte beteiligt; Montaigne in leidenschaftlichem Gespräch mit La Boétie oder sogar, wie er mit Frau und Tochter am Kamin sitzt und um ein paar Pfennige Karten spielt. Manchmal sind seine Antworten auf die Frage, wie man leben soll, tatsächlich kühl und unerbittlich: Kümmere dich nur um deine eigenen Sachen; bewahre dir ein Gefühl für dich selbst; gehe Problemen aus dem Weg und habe ein Hinterzimmer in deinem Geschäft. Aber es gibt einen anderen Montaigne, der fast das genaue Gegenteil ist. Es ist …
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Frage: Wie soll ich leben?
Antwort: Sei gesellig! Lebe mit anderen!
Eine fröhliche und gesellige Weisheit
«Es gibt ungesellige, nach innen gewandte und verschlossne Naturen», schreibt Montaigne. Er selbst gehört nicht dazu.
Mein wesentlicher Charakterzug […] ist die Neigung, mich mitzuteilen und zu offenbaren: Zu Geselligkeit und Freundschaft geborn, bin ich vor aller Augen ganz nach außen gewandt.
Er mischte sich gern unter Leute. Der Austausch im Gespräch bereitete ihm mehr Vergnügen als alles andere. Er war ihm so wichtig, dass er lieber sein Augenlicht verloren hätte als sein Gehör oder seine Fähigkeit zu sprechen, denn Gespräche waren für ihn besser als Bücher – und sie mussten nicht immer ernst sein. Am liebsten mochte er «die plötzlichen Einfälle und pointierten Wechselreden […], wie sie sich im vertrauten und heitren Umgang zwischen Freunden immer wieder ergeben. Einander ausgelassen necken und narren ist eine Kurzweil, zu der ich dank meines natürlichen Frohsinns recht geeignet bin.» Jedes Gespräch war gut, solange es offen und wohlwollend verlief. Sozialen Umgang dieser Art sollte man Kindern schon von klein auf beibringen, um sie der Selbstversunkenheit zu entreißen, meinte er. «Aus dem Umgang mit Land und Leuten gewinnt die menschliche Urteilskraft einen ungemeinen Klarblick. Wir sind alle in uns selbst eingezwängt und hineingekrümmt, und unser Blick reicht nicht
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