Wie Sommerregen in der Wueste
richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort, richtige Stimmung –, und dann kommt es ganz anders. Wahrscheinlich sind Sie noch zu jung, um darüber nachzudenken, wie kostbar Zeit ist. Lassen Sie es sich von mir sagen: Es gibt nichts Schlimmeres, als zurückzublicken und feststellen zu müssen, wie viel Zeit man vergeudet hat. Das Mädchen, meine Stieftochter …«, stolz streckte er die Brust hervor, »… sie ist ein Schatz. Sie sollten besser zugreifen, bevor sie Ihnen durch die Finger schlüpft. Trinken Sie noch ein Glas.« Er schenkte Craig Champagner nach. »Ich spreche aus Erfahrung, Heiratsanträge lassen sich leichter machen, wenn man sich Mut angetrunken hat.«
Amy hatte ihre Mutter im Waschraum für Damen auf einem Stuhl sitzend und in ihr Taschentuch schniefend angetroffen. Mit einem hilflosen Blick nahm sie neben ihr Platz.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Jessie schüttelte den Kopf und betupfte sich mit dem Tuch die Augen. »Nein, was du gesagt hast, hat mich glücklich gemacht.« Sie schluchzte wieder und legte einen Arm um Amys Schulter. »Ich war so nervös, so voller Angst, du würdest am Tisch sitzen und mich hassen.«
Amy spürte, wie sich auch ihre Augen mit Tränen füllten. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich es dir so schwer gemacht habe.«
»Nein, du nicht. Auf dich konnte ich in meinem Leben immer zählen. Ich habe zu viel von dir verlangt. Doch«, beharrte sie, als Amy den Kopf schüttelte. »Ich weiß, ich habe dich immer wieder traurig gemacht, und ich bedaure es. Aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und es ändern. Und, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht einmal, ob ich es dann täte. Ich habe Fehler gemacht, Schätzchen, und du hast dafür zahlen müssen. Ich habe nie in erster Linie an dich gedacht, und du hast das Recht, mir das zu verübeln.«
Manchmal war das Übelnehmen bis zur Verzweiflung gegangen. Doch heute war nicht der Abend, daran zu denken. Amy lächelte. »Erinnerst du dich noch daran, als ich zehn oder elf war und der Junge aus unserer Straße, Bob Hardy, mich einfach vom Fahrrad gestoßen hat? Ich kam mit blutigen Knien und einer zerrissenen Bluse nach Hause.«
»Dieser kleine Fiesling.« Jessie verzog ihren schönen Mund. »Ich hätte ihn gern gehörig verprügelt.«
Die Vorstellung, wie Jessie jemanden verprügelte, vertiefte Amys Lächeln. »Du hast mich geküsst, die Wunden gesäubert und mir eine neue Bluse versprochen. Dann bist du schnurstracks hinüber zu Mrs Hardy marschiert.«
»Natürlich – aber woher weißt du das überhaupt? Du solltest doch in deinem Zimmer bleiben.«
»Ich bin dir gefolgt. Ich habe mich draußen in den Büschen versteckt und gelauscht.«
Jessies Gesichtsfarbe verdunkelte sich ein wenig. »Du hast gehört, was ich gesagt habe? Alles?«
»Und ich war verblüfft.« Lachend nahm Amy die Hand ihrer Mutter. »Ich hätte nie geahnt, dass du solche Wörter kennst.«
»Sie war eine dicke Giftnudel. Ich wollte es ihr nicht zu leicht machen, dass ihr unerzogener gemeiner Junge einfach mein kleines Mädchen zu Boden wirft.«
»Anschließend hat sie dir fast aus der Hand gefressen. An dem Abend hat sie ihren unerzogenen gemeinen Jungen am Ohr zu uns geschleppt, und er musste sich entschuldigen. Ich habe mich als etwas ganz Besonderes gefühlt.«
Zärtlich strich Jessie Amy eine Haarsträhne zurück. »Ich habe nie so recht gewusst, wie ich mit einem Kind umgehen soll. Es ist für mich viel einfacher, mit dir als Frau zu reden.«
Weil sie sie langsam verstand, küsste Amy sie auf die Wange. »Dein Mascara verläuft.«
»Oh, nein.« Jessie schüttelte sich, als sie einen Blick in den Spiegel warf. »Entsetzlich. Ein Blick, und Willie nimmt sofort Reißaus.«
»Das war doch gar nicht so schlimm.« Kaum hatten sie Amys Wohnung betreten, nahm Craig auch schon seine Krawatte ab.
»Nein.« Amy schlüpfte aus den Schuhen. Sie fühlte sich gut, wirklich gut. Vielleicht verlief die neue Ehe ihrer Mutter nach dem Schema der anderen. Vielleicht aber auch nicht. Heute Abend hatten sie eine große Hürde überwunden. »Es war sogar angenehm. Champagner, Kaviar, wieder Champagner. Ich könnte mich direkt daran gewöhnen.« Als er sich ans Fenster stellte und hinaussah, runzelte sie die Stirn. »Du wirkst etwas abwesend. Craig?«
»Was?« Er drehte sich um und starrte sie an. Sie trug ein weißes Sommerkleid, in der Taille mit einem breiten grünen Gürtel zusammengehalten. Es bezauberte ihn immer wieder, wenn sie so etwas Feminines
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