Wie Tau Auf Meiner Haut
Stiftung angerufen
hätte, hätte sie niemand in Minneapolis vermutet. Ein unglaublicher Fehler.
Andererseits verrieten sich auch Verbrecher oft, indem sie nur deswegen an den
Ort des Verbrechens zurückkehrten, um sich an ihrer eigenen Schlauheit zu
erfreuen.
Grace aber hatte die Stiftung, ja, sogar ihn persönlich angerufen. Da sie selbst
kein Wort gesagt hatte, hatte sie sicher nur herausfinden wollen, ob er
überhaupt in der Stadt war. Wo sie das jetzt wusste, was würde sie tun? Vor
seiner Tür aufkreuzen und mit ihm reden wollen? Das hätte sie auch telefonisch
tun können, es sei denn, sie hatte plötzlich Angst bekommen, ihren
Aufenthaltsort zu verraten.
Hatte sie ihn also gesehen oder nicht? Wollte sie reden oder schießen? Es war
pervers von ihm, aber er hoffte auf letzteres. Die Vorstellung von Grace mit einer
Pistole in der Hand war eigenartig erregend. Natürlich würde sie keine
Gelegenheit haben, von ihr Gebrauch zu machen. Er wollte sie auch nicht
weinend und schwach in seinen Armen haben, sondern wütend und sich
verteidigend. So würde sein Triumph über sie viel befriedigender sein, genau wie
mit Calla, als seine Liebeskünste ihre Wut gebändigt hatten. Das kurze
Zwischenspiel mit Calla hatte er als ungewöhnlich stimulierend empfunden.
Sicherlich würde er mit Grace noch mehr Spaß haben.
Würde sie zu ihm kommen oder nicht? Der Dienstboteneingang stand
entgegenkommenderweise offen, aber vielleicht würde sie das Gebäude eher am
Tag betreten, wenn sie sich einfach unter die hereinkommenden Menschen
mischen konnte. Er wartete es geduldig ab.
»Hier sind wir richtig«, flüsterte Kris aufgeregt, als er die doppelte Zimmerdecke
im Hauptcomputerraum der Stiftung öffnete. Es war still und düster, nur das
Summen der elektronischen Geräte durchbrach die Stille. Sie hatten eine Stunde
gebraucht, um sich bis an diesen Ort vorzuarbeiten. Nichts erwies sich jemals als
so einfach, wie es zunächst auf dem Papier aussah. Erst hatten sie den
tatsächlichen Reinigungskräften ausweichen müssen, dann hatten sie siebzehn
Stockwerke zu Fuß gehen müssen, da sie den Dienstfahrstuhl nicht benutzen
konnten. Nachdem sie die doppelte Zimmerdecke für die Heizungsrohre entdeckt
hatten, hatten sie sich von einem hohen Stuhl aus dort hochziehen können. Dann
hatten sie das gelöste Deckenstück wieder an Ort und Stelle eingefügt, so dass
niemand ahnte, wo sie sich aufhielten. Mit einer Taschenlampe, die sie aus dem
Handschuhfach mitgenommen hatte, durchsuchten sie die kilometerlangen
Kabelschächte, nur um schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass sie doch bis
in die Büroräume der Stiftung gehen mussten. Sie fanden den Computerraum,
lauschten eine Weile und öffneten dann auch dort den Zugang zu den
Kabelschächten.
Kris steckte Kopf und Schultern aus der Öffnung und blickte sich um. »Keine
Kameras hier«, flüsterte er. »Aber die Tür hat ein Fenster. Wir müssen uns also
so setzen, dass man uns vom Flur aus nicht sehen kann. «
»Wenn wir gerade in oder aus den Kabelschächten klettern, wenn jemand
vorbeikommt, sind wir erledigt«, warnte Grace. Aber das war nicht zu umgehen.
Sie konnten durch keine der Türen hereinkommen, also mussten sie es über die
Zimmerdecke tun.
Kris klammerte sich mit beiden Händen an der Öffnung fest und ließ sich
behutsam in das Zimmer herab. Die Decken hatten Standardhöhe, damit sich die
Räume gut beheizen ließen. An seinen ausgestreckten Armen hängend war der
Abstand zum Boden kaum mehr als dreißig Zentimeter. Er kam leise auf den
Fußbodenfliesen auf. Dann wandte er sich Grace zu, um ihr den Laptop
abzunehmen. Als er ihn sicher verstaut hatte, streckte er Grace die Arme
entgegen. Grace ließ sich aus der Öffnung fallen. Er ergriff ihre Taille und setzte
sie vorsichtig auf dem Fußboden ab.
Dann verschaffte er sich einen Überblick. Dies hier war sein eigenes Territorium,
und sein Gesicht glühte erwartungsvoll. »Setz dich dort hinten an den
Schreibtisch«, sagte er, auf einen Tisch deutend. »Ich schließe das hier an, dann
komme ich zu dir rüber. « Noch während er sprach, zog er die Kabel von einem
der Computer ab und vernetzte damit seinen Laptop. Dann stellte er einige der
Anleitungsbücher so hin, dass man ihrer beider Köpfe nicht sehen konnte.
Er ließ sich neben sie fallen und zog seine langen Beine an. Der Laptop lag
zwischen ihnen eingeklemmt. Er drückte einen Schalter, und die
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