Wie Tau Auf Meiner Haut
ein Stuhl stand nicht an seinem Platz.
Conrad deutete auf die Zimmerdecke. Direkt über dem Stuhl hing eine der
Deckenlampen ein wenig schief.
»Spür sie auf«, flüsterte Parrish tonlos. Sie war in seiner unmittelbaren Nähe
gewesen und hatte ihn auch noch verhöhnt, indem sie mit einem Mann
zusammen gekommen war. Er wusste nicht, ob sie irgend etwas Interessantes in
den Computern hatten finden können, aber allein, dass sie sie geknackt hatten,
machte ihn schon rasend vor Wut. »Spür sie alle beide auf. Und leg sie um. «
Kapitel 16
Da Grace nunmehr die zweite Nacht hintereinander schlaflos verbrachte, tränten
ihr die Augen. Dennoch las sie zum x-ten Mal Teile der Hitlerdatei. Sie konnte die
Sache einfach nicht aus ihrem Kopf bekommen. Immer wieder ging sie die Seiten
durch, um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie es sich auch wirklich nicht
nur eingebildet hatte.
Die Stiftung war im Jahr 1802 von einer etwas merkwürdig zusammengesetzten
Männergruppe ins Leben gerufen worden. Napoleon Bonaparte war eines der
Gründungsmitglieder, möglicherweise auch das wichtigste und einflussreichste.
Zweifellos war er zu jener Zeit der einzige Mann, der die ganze Welt hatte
erobern wollen. Auf den ersten Blick ein etwas großspuriges Unterfangen, wenn
man jedoch die Sache in ihrem Zusammenhang sah, war es gar nicht mal so
abwegig.
Die Hitlerdatei vermittelte ein anderes und der allgemeinen Geschichtsauffassung
entgegenlaufendes Bild. 1799 fiel Napoleon im türkischen Teil Syriens ein und
kam bis zu der Festung von Acre. Die Festung, die 1240 von den Tempelbrüdern
erbaut worden war, hatte er jedoch nicht einnehmen können. Doch vielleicht war
ihm dort etwas zu Ohren gekommen, oder er hatte etwas dort gefunden. Nach
seiner Rückkehr von Acre hatte sich sein Vorhaben auf jeden Fall erst richtig
verfestigt. Er hatte sich zum Diktator über Frankreich aufgeschwungen und sich
schon bald selbst als Kaiser krönen lassen. Er eroberte Spanien, Italien, die
Schweiz, Holland und Polen. Außerdem griff er sowohl Russland als auch
Österreich an. Viele Menschen hatten schon die Welt erobern wollen, aber nur
wenige haben es tatsächlich auch versucht oder überhaupt an ein Gelingen
geglaubt. Napoleon hatte es für machbar gehalten, seine ehrgeizigen Pläne
waren deutlich in den Hitlerpapieren aufgeführt. Er hatte mit dem vollen Einsatz
seiner Kräfte den verlorenen Schatz der Tempelbrüder suchen lassen, denn in
den Dokumenten hatte gestanden: Derjenige, der die Macht hat, wird auch die
Welt regieren. Aber was war die Macht? Nicht Gold, aber etwas Greifbares wie
beispielsweise die Bundeslade. Was auch immer es sein mochte, die Stiftung war
der Auffassung, es sei der Schlüssel zu unbegrenzter Machtausübung. Seit
zweihundert Jahren hatte sie ihre gesamten Mittel dafür eingesetzt, den Schatz
zu finden.
Es gab drei deutlich voneinander getrennte Ebenen in der Stiftung. Am unteren
Ende waren die Angestellten, die Bürokraten und die Laufburschen. Die zweite
Ebene bestand aus »Gebern«, also Menschen, die Mitglieder der Stiftung waren
und ihr, entweder freiwillig oder gezwungenermaßen, große Geldsummen zur
Verfügung stellten. Ihrem Eindruck nach waren Druck und Erpressung an der
Tagesordnung. Auf der obersten Ebene waren es nur einige wenige Namen, von
denen sie die meisten kannte. Napoleon. Stalin. Hitler. Zwei amerikanische
Präsidenten. Ein Diktator aus dem Mittleren Osten. Ein französischer General. Ein
britischer Premierminister. Ein berühmter Gewerkschaftsführer. Ein paar
Industrielle, sowohl Frauen als auch Männer. Besonders ein Name überraschte
sie, denn der extrem wohlhabende Mann war besonders für seinen Einsatz für
wohltätige Zwecke bekannt. Und Parrish Sawyer. Sein Name schien im Vergleich
zu den anderen Berühmtheiten eher unbedeutend, aber diese Männer waren am
Anfang ihrer Karrieren auch nicht unbedingt bekannt gewesen. Dass sein Name
auf der Liste verzeichnet war, war ein weiteres Indiz für seine absolute
Rücksichtslosigkeit.
Die Macht, die Welt zu regieren. Heutzutage war die Vorstellung noch
lächerlicher, als sie es vor fünfzig Jahren gewesen war. Wie sollte eine einzige
Person oder auch eine einzelne Stiftung die ganze Welt regieren können? Aber
wenn sie die Sache aus dem Blickwinkel des Einflusses einzelner Nationen
betrachtete, dann schien es möglich, die Welt mittels ein paar ausgesuchter,
besonders einflussreicher Staaten zu
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