Wie Tau Auf Meiner Haut
sie den Laptop und die Papiere sorgfältig verstaut und noch einmal ihr
Geld überprüft hatte, löschte sie das Licht und zog ihre Schuhe aus. Mehr konnte
sie ihre Wachsamkeit nach vier Tagen mit nur gelegentlichen Nickerchen nicht
lockern, aber es reichte ihr schon.
Seufzend streckte sie sich auf dem Bett aus. Jeder Muskel ihres Körpers
schmerzte, als sie sich allmählich entspannte. Sie legte sich auf die Seite, rollte
sich zusammen, umarmte ihr Kopfkissen und schlief ein.
Sie träumte von Niall. Der Traum war wirr und bewegt, überall waren Schwerter
und Schlachtfelder. Sie träumte von einem großen, dunklen Schloss, bei dessen
Anblick sie ahnungsvoll erbebte. Die Leute munkelten über das Schloss und den
Herrn, dem es gehöre. Er war ein rücksichtsloser, brutaler Krieger, der jeden
fällte, der sich ihm in den Weg stellte. Die anständigen Leute hielten ihre Töchter
von dem Schloss fern, denn sonst verloren diese ihre Unschuld an ihn, heiraten
tat er nämlich keine einzige von ihnen. Sie träumte, wie er vor einem riesigen
Feuer in der Haupthalle des Schlosses ausgestreckt lag. Sein dunkler Blick, mit
dem er seine Männer beim Essen und Trinken beobachtete, war schwer zu
deuten. Sein langes Haar war dicht und an den Schläfen zu Zöpfen geflochten.
Ein keckes Mädel setzte sich auf seinen Schoss. Im Traum hielt Grace die Luft an,
weil sie Angst hatte, was Niall jetzt tun würde. Aber er lächelte die Dienstmagd
an, indem er ganz langsam die Mundwinkel hochzog. Grace stockte der Atem.
Dann wechselten die Bilder, wie sie es im Traum zu tun pflegen, und Grace
schlief ruhiger.
Zum wiederholten Mal hatte er das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Niall hob
das Mädchen von seinem Schoss und versprach ihr mehr Aufmerksamkeit, wenn
sie Nachts zusammen das Bett teilen würden. Dann wanderte sein wachsamer
Blick durch die Halle. Wer beobachtete ihn und aus welchem Grund? Er war der
Burgherr, und demzufolge war er es gewohnt, dass die Menschen zu ihm kamen,
wenn sie Fragen hatten oder Bestätigung brauchten oder einfach nur seine Laune
erfahren wollten. Viele Menschen blickten ihn an, aber diesmal war irgend etwas
anders. Diesmal... beobachtete ihn jemand.
In der Halle schien alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Die Luft war
verraucht, die Männer laut. Gelächter erscholl von einer Bank, und die anderen
wandten sich dorthin, um den Witz ebenfalls zu hören. Die Dienstmägde
bewegten sich dazwischen, füllten die Gläser auf, wehrten entweder Avancen ab
oder bedachten denjenigen mit einem Lächeln, je nachdem, wie willkommen
ihnen das Angebot war. Alles war genauso, wie es sonst auch immer war.
Dennoch spürte er eine Gegenwart. Es war dasselbe Gefühl, das ihn vor ein paar
Tagen Nachts aus dem Bett aufgescheucht hatte. Er spürte etwas Zartes und
glaubte, eine Frau würde ihn beobachten. Vielleicht gefiel er ihr ja, aber sie war
schüchtern. Sie konnte nicht direkt auf ihn zukommen, wie es die meisten Mägde
taten, wenn sie eine Nacht hart geritten werden wollten. Möglicherweise
beobachtete sie ihn lediglich und verzehrte sich nach ihm.
Als er sich jedoch umsah, konnte er kein Mädchen finden, das dieser
Beschreibung entsprochen hätte. Er brummte frustriert. Wenn ihn wirklich eine
Frau beobachten sollte, so würde er sie kennen. Vielleicht hatte sie ja keinen
anderen Beweggrund als ihre zarten weiblichen Gefühle, aber Niall vergaß
niemals den Schatz, den er zu bewachen geschworen hatte. Jedes ungewöhnliche
Vorkommnis erhöhte seine Wachsamkeit, und seine Hand wanderte unwillkürlich
zu dem Dolch an seinem Gürtel. Seine schwarzen Augen wurden schmal, als er
die verqualmte Halle absuchte, die Schatten beobachtete, die Gesichter der
Männer musterte und sich zu versichern versuchte, dass alles in Ordnung war.
Auch die Frauen unterzog er einer sorgsamen Betrachtung.
Wieder fand er nichts Außergewöhnliches.
Zum zweiten Mal jedoch hatte er sich jetzt beobachtet gefühlt und eines
Fremden Anwesenheit gespürt. Er glaubte nicht, dass er sich das nur einbildete.
Niall hatte zu viele Kämpfe gegen offensichtliche, aber auch gegen versteckte
Gegner geführt, und er vertraute seinen kriegerischen Instinkten, die sich über
die Zeit noch geschärft hatten.
Sein aufmerksamer Blick durch die Halle war bemerkt worden. Viele Stimmen
verstummten. Unsichere Augen wandten sich ihm zu. Niall war sich der über die
Jahre weitererzählten Geschichten wohl bewusst. Er war
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