Wie Tau Auf Meiner Haut
er?
War es ein politisches oder aber ein militärisches Amt gewesen? Sie musste
unbedingt eine Bibliothek aufsuchen. Die Kongressbibliothek hätte sie allen
anderen vorgezogen. Sie hätte sie mit ihrem Modem und ihrem Computer
anwählen können, wenn das Motel ein Telefon gehabt hätte, was aber nicht der
Fall war. Morgen würde sie in Eau Claire eine Bibliothek finden, dort alle
notwendigen Recherchen machen und sich die benötigten Buchtitel notieren. Sie
würde ein Lexikon Gälisch-Englisch finden, denn die gälischen Dokumente
würden die meisten Informationen über diesen Niall von Schottland enthalten.
Vermutlich würde die Bibliothek von Eau Claire etwas so Exotisches jedoch gar
nicht besitzen.
Die Bibliothek in Chicago aber würde es ganz bestimmt haben, denn ein großer
Teil der Bevölkerung dort war irischen Ursprungs. New York und Boston waren
weitere Orte, die sie per Computer leicht anzapfen könnte. Sie ließ die CD
herausgleiten und packte sie vorsichtig ein, dann beendete sie das Programm.
Der Computer war eine großartige Sache, aber sie wollte richtiges Papier
zwischen ihren Fingern spüren. Dann konnte sie sich zumindest einbilden, sie
würde direkt an den Originalen arbeiten. Sie holte die Kopien hervor und ließ ihre
Finger über das glatte Modempapier gleiten. Auch dieses Papier würde mit der
Zeit verblassen. Und irgendwann in der Zukunft würden die Menschen über
vereinzelten Bruchstücken brüten und versuchen, das Leben im zwanzigsten
Jahrhundert zu rekonstruieren. Sie würden Videobänder neu zusammenfügen
und sich die Bilder ansehen, sie hätten CDs, Bücher und Disketten zur
Verfügung, von denen allerdings nur ein Bruchteil die Jahrhunderte überdauert
hätte. Die Sprachen würden sich verändert haben, und die Technologien würden
vollkommen neue sein. Wer konnte schon wissen, wie sich die heutige Zeit aus
dem Abstand von siebenhundert Jahren ausnehmen würde?
Bei einem Text in altem Französisch hielt sie inne. Sie holte die Lupe hervor,
damit sie die verblassten Spuren deutlicher erkennen konnte, dann begann sie zu
lesen. Es wurde von einer Schlacht berichtet. Die Handschrift war dünn und
krakelig, die Wörter so eng aneinander geschrieben, als habe der Schreiber jeden
Zentimeter des Papiers ausnutzen wollen.
»Obwohl es der Feinde fünf und Bruder Niall ganz allein war, hat er sie doch alle
gefällt. Seine Meisterschaft mit dem Schwert ist unerreicht. Er kämpfte sich bis
zu Bruder Ambrose vor, der schwer verletzt lag. Er hob ihn auf die Schulter.
Obwohl er durch Bruder Ambrose behindert war, fällte er noch drei weitere
Männer aus dem Feindeslager, bevor er flüchtete und den verwundeten Ritter in
Sicherheit brachte. «
Grace lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand durch die offenen Haare. Ihr
Herz schlug wie wild. Wie hatte ein ganz gewöhnlicher Mann das tun können?
Obwohl es fünf zu eins gegen ihn gestanden hatte, hatte Niall alle fünf Gegner
erledigt und dann seinen Ritterbruder gerettet. Damals hatte ein erwachsener
Mann mit Rüstung und Waffen insgesamt über zweihundert Kilo gewogen. Und
dennoch hatte er noch drei weitere Männer umgelegt und war dann mit seiner
Last entkommen!
Was für ein Mann war er gewesen? Wohl ein sehr mächtiger, sowohl auf dem
Schlachtfeld als auch kraft seiner Persönlichkeit. Hatte er ein gemeines Wesen,
oder aber war er großzügig, war er fröhlich oder sauertöpfisch, still oder eher
laut? Auf welche Art und Weise war er gestorben? Wichtiger noch, wie hatte er
gelebt? Was hatte ihn dazu bewegt, ein ritterlicher Mönch zu werden, und hatte
er die Zerstörung seines Ordens überlebt? Sie wollte eigentlich noch weiterlesen,
aber sie wurde von ihrem eigenen Gähnen überrascht. Die Müdigkeit lullte sie
ein. Sie schaute auf ihre Uhr und erwartete, dass etwa eine Stunde vergangen
war, aber es waren bereits drei. Es war später Nachmittag, und sie war sich nicht
sicher, wie lange sie sich noch würde wach halten können.
Warum sollte sie überhaupt wach bleiben? Dies war ihr sicherstes Versteck seit
vier Tagen. Sie hatte sich hinter einer blonden Perücke und einem falschen
Namen verschanzt. Sie war sauber und ihr war warm. Es gab Wasser, Essen und
ein funktionierendes Badezimmer. Zwischen ihr und der Außenwelt befand sich
eine verriegelte Tür. Der unverhoffte Luxus erleichterte sie ungemein.
Die Versuchung war zu stark, als dass sie ihr hätte standhalten können.
Nachdem
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