Wie Tau Auf Meiner Haut
Niall
von Schottland vor so langer Zeit geschehen war. Die schwache Batterie des
Computers war schon beinahe leer. Sie hätte sie während der Dusche aufladen
können, aber sie hatte die Stunde einfach so verstreichen lassen. Sie könnte
auch jetzt noch den Computer anschließen und ihn aus der Steckdose speisen,
bis ihre Kleidung trocken wäre.
Sie widerstand der Versuchung. Sie würde vielleicht ganz schnell das Haus
verlassen müssen, da wollte sie nicht erst noch ihre Sachen zusammensuchen
müssen. Wenn sie zu arbeiten anfing, würde sie darüber womöglich die Zeit
vergessen. Das wäre nicht das erste Mal. Und heute hatte sie noch so viele Dinge
zu erledigen. Bisher hatte sie sich Nachts fortbewegt und sich tagsüber versteckt,
aber das musste sie jetzt ändern. Sie hatten sie Nachts verfolgt und gewusst,
dass sie die Nacht für ihre Flucht benutzte. Also musste sie sowohl diese
Angewohnheit als auch ihr äußeres Erscheinungsbild ändern.
Im Badezimmer fand sie ein paar Haarnadeln, mit denen sie ihre Haare auf dem
Kopf feststeckte. Da sie aus Erfahrung wusste, dass die seidigen Strähnen sich
schon bald lösen würden, stülpte sie sich die Baseballmütze auf den Kopf, die
alles an ihrem Platz hielt.
Eine besonders große Veränderung war es nicht, aber zusammen mit der neuen
Kleidung würde es vielleicht ausreichen. Sie musste sich so schnell wie möglich
eine Perücke zulegen. Damit konnte sie ihr Aussehen öfters einmal verändern.
Außerdem wollte sie noch nach einem Messeretui Ausschau halten.
Ihre Verfolger würden davon ausgehen, dass sie ihrem bisherigen Muster treu
blieb. Das wollte sie jedoch durchbrechen. Nach dem Kauf einer Perücke würde
sie sich in einem billigen Motel in Eau Claire einmieten und dort ein paar Tage
bleiben. Sie musste sich ausruhen, sie musste sich beruhigen, sie musste
arbeiten. Sie hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als sich in ihrer Arbeit zu
verlieren.
Der Plan ging auf. Nachdem sie das Haus aufgeräumt hatte und all die Zeichen
ihres Aufenthaltes verwischt hatte, ging sie hinaus und schloss hinter sich die
Tür. Dann warf sie den Stein durch die Glasscheibe, um so die zerbrochene
Scheibe zu erklären. Nach einer schier endlosen Weile fand sie einen Laden, der
billige Perücken verkaufte. Lange probierte sie alle aus, ehe es ihr gelang, eine
mit blonden Locken unter ihrem Pulli zu verstecken. Sie bezahlte eine dunkelrote
im Pagenschnitt. Während der Verkäufer die rote abrechnete, steckte sie das
Geld für die blonde Perücke unter die Kasse. Wenn ihre Verfolger sich wirklich
gut auf ihr Handwerk verstanden, dann würden sie sie mit der roten Perücke in
Verbindung bringen. Von der blonden jedoch würde niemand etwas wissen.
Das Motelzimmer mietete sie mit der blonden Perücke. Das Hotel war ziemlich
heruntergekommen, aber das Wasser funktionierte und das Bett, obwohl holprig
und mit mieser Bettwäsche bestückt, war doch immerhin ein Bett. Außer dem
kurzen Nickerchen unter dem Auto hatte sie überhaupt nicht geschlafen.
Dennoch widerstand sie dem Bedürfnis, sich hinzulegen. Statt dessen zog sie
sich die juckende Perücke vom Kopf und baute den Laptop auf dem wackeligen
Tisch auf. Sie wandte sich, um wach zu bleiben, den Feinheiten der Sprachen zu,
die bereits vor Christopher Kolumbus' Geburt ausgestorben waren.
Grace liebte ihre Arbeit. Sie liebte die Herausforderung, die zersprengten oder
unvollständigen Überbleibsel der menschlichen Mühen, mit denen sie Gedanken,
Bräuche oder Träume dokumentiert hatten, zusammenzutragen. Manche
benutzen Hammer und Meißel, andere in Tinte getunkte Gänsekiele in dem
Bemühen, die Gegenwart zu Transzendieren und die Vergangenheit um der
Zukunft willen aufzuzeichnen. Der Mensch hatte zu schreiben begonnen, als er
anfing, in Abstrakta zu denken, und sich mit seiner rein körperlichen Existenz
nicht mehr zufrieden gegeben hatte. Wenn sie einen alten Steinbrocken
betrachtete und über den grob eingeritzten Zeichen grübelte, die die Zeit schon
fast wieder weggewischt hatte, fragte sie, wer diese Menschen gewesen sein
mochten, was sie gedacht haben mochten und was ihnen so wichtig gewesen
war, dass sie stundenlang mit verschränkten Beinen und erlahmenden Armen
über einem Stück Stein gesessen und Zeichen mit wenig mehr als einem
weiteren scharfkantigen Stein hineingeritzt hatten.
Die Dokumente über den geheimnisvollen Niall von Schottland waren jedoch
schon sehr viel
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