Wie Tau Auf Meiner Haut
würde er aber dennoch nicht dulden. Er ging zu der alten Frau
hinüber, die Ordnung in das Chaos zu bringen versuchte, denn er hatte ihre
Führungsqualitäten sofort erkannt. Er legte seine Hand auf ihren plumpen Arm
und zog sie beiseite. »Wie viele Stunden sind schon vergangen? « fragte er
knapp. »Wie viele Leute sind es? «
Sie starrte den großen Mann an, der sich zu ihr herabbeugte. Seine schwarze
Mähne hing ihm über die breiten Schultern, seine Augen waren kalt und düster
wie die Tore zur Hölle. Sie wusste sofort, wer er war. »Mehr als ein oder zwei
Stunden kann es nicht her sein. Es war eine große Gruppe, dreißig oder mehr
vielleicht. «
Dreißig, das war tatsächlich eine ganz schön große Truppe, um plündern zu
gehen. Denn Plündern machte man am besten heimlich. Seit vierzehn Jahren
hatte er Creag Dhu nie mit weniger als der Hälfte seiner bewaffneten Männer
verlassen. Wenn er aber so viele Leute verfolgen musste, dann musste er mehr
Männer als gewöhnlich mitnehmen. Eine solche große Zahl von Plünderern stellte
eine Herausforderung dar, die er nicht unterschätzen durfte. Huwe von Hay
wusste, dass Niall sich sofort verteidigen würde, also würde er für diesen Fall
vorgesorgt haben. Vielleicht bedrohte er ihn absichtlich, um damit Niall und seine
Leute aus der Burg zu locken.
Niall rief nach Artair, der sein Pferd einem Stallknecht überließ und sofort zur
Stelle war. Die beiden Männer entfernten sich etwas von dem lärmenden
Durcheinander. Artair war der einzige Mann in Creag Dhu, der vormals auch im
Tempelorden gewesen war. Er war ein einsamer und ehrerbietiger Mann, der
niemals vom Glauben abgefallen war, auch dann nicht, als der Großmeister vor
sieben Jahren einen grausigen Tod erlitten hatte. Artair war achtundvierzig Jahre
alt und hatte graue Haare. Seine Schultern aber hielt er noch aufrecht.
Außerdem trainierte er, genau wie Niall, jeden Tag mit seinen Männern. Keine
der Angriffsstrategien, die er im Orden gelernt hatte, hatte er vergessen.
»Meiner Meinung nach ist das nur eine Finte, um die meisten Männer aus der
Burg wegzulocken«, sagte Niall leise. Sein Mund bildete nur noch eine schmale,
grimmige Linie, seine schwarzen Augen waren zusammengekniffen und kalt.
»Vermutlich wird der Hay angreifen, sobald er uns weit genug entfernt glaubt.
Ich glaube nicht, dass er nah genug an der Burg ist, um uns zu beobachten.
Außerdem halte ich den Tölpel nicht für so gerissen. Ich werde fünfzehn Mann
mitnehmen. Die anderen bleiben unter deinem Kommando hier. Sei wachsam. «
Artair nickte besorgt. »Nur fünfzehn willst du mitnehmen? Ich habe eine Frau
von dreißig reden hören... «
»Schon richtig, aber unsere Leute sind schließlich sehr gut ausgebildet. Bei zwei
Mann zu einem sind wir immer noch im Vorteil. «
Artair lächelte müde. Der Hayclan würde gegen die ihm noch unbekannten
Männer des Tempelordens kämpfen, denn Niall hatte sie mit seiner Hilfe
ausgezeichnet ausgebildet. Die meisten Schotten rannten in den Kampf und
hatten dabei nur das Ziel, denjenigen abzustechen oder zu verletzen, der ihnen
vor die Augen trat. Die clanlosen Männer von Creag Dhu aber griffen mit einer
Disziplin an, auf die sogar eine römische Heereseinheit stolz gewesen wäre.
Ihnen waren Angriffsstrategien und Techniken von dem gefürchtetsten Krieger
der gesamten christlichen Welt beigebracht worden. Natürlich wussten sie nicht,
mit wem sie es zu tun hatten. Sie wussten lediglich, dass seit dem Erscheinen
vom Schwarzen Niall im schottischen Hochland ihn noch niemals jemand
besiegen konnte, und sie waren stolz darauf, ihm zu dienen. Ihre ganze
Clanloyalität, ihr Gefühl für Verwandtschaft und Verwurzelung hatten sie jetzt auf
ihn fixiert, und sie würden ohne zu zögern ihr eigenes Leben im Kampf für ihn
einsetzen.
Niall vergewisserte sich, dass Creag Dhu gut verteidigt war, suchte sich fünfzehn
Leute aus, geleitete sie aus dem Tor und ritt mit ihnen in das Morgengrauen
hinein. Er trieb sowohl Pferde als auch Reiter hart an, denn er vermutete, dass
die Plünderer ihn so weit wie nur möglich von Creag Dhu weglocken wollten. Sein
Gesicht war beim Reiten vollkommen versteinert. Der Hayclan hatte einen
unverzeihlichen Fehler begangen, seine Leute auf einem Landstrich stehlen,
vergewaltigen und morden zu lassen, den er als unter seinem Schutz
betrachtete. Er hatte Creag Dhu erobert und es seinen Bedürfnissen
entsprechend verändert.
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