Wie Tau Auf Meiner Haut
Verdacht schöpfte. Er würde sie an der Tür erwarten,
bereit, sie ihrer Waffe zu entledigen und ihr gar nicht erst die Möglichkeit eines
Glückstreffers einzuräumen.
Vielleicht sollte er wirklich nicht länger auf einen komfortablen Ort warten,
sondern sie gleich hier, auf der gläsernen Tischplatte, nehmen. Sie würde sich
wehren und mit den Füßen treten, und er würde sie trösten, ihr ins Ohr flüstern
und ihre sinnlichen Lippen küssen. Unter seinem Körper würde sie sich weich und
hilflos anfühlen.
Er war jetzt so erregt, dass er fast gekeucht hätte. Einmal würde ihm nicht
genügen, soviel wusste er. Er wollte sich in ihren Mund ergießen, er wollte ihren
Höhepunkt spüren. Er wollte, dass sie vor lauter Wollust seinen Namen rief.
Dann würde er sie umbringen. Ein echter Verlust, nur leider unvermeidlich.
»Sie hat vom Münzfernsprecher eines McDonald's in Roseville aus angerufen«,
gab Conrad durch. »Keinem ist sie aufgefallen, aber die anderen Gespräche um
diese Zeit wurden von anderen Leuten geführt. «
»Roseville. « Parrish dachte an den Stadtteil, der sich dem Stadtzentrum im
Nordosten anschloss. »Hast du Männer dorthin abgestellt, falls sie noch einmal
dort auftaucht? «
»Ja. « Diese Maßnahme hatte Conrad sofort getroffen. Die meisten Menschen
waren Gewohnheitstiere, die dieselbe Gewohnheit über Monate, oft über Jahre
beibehielten. Grace hatte sich als überraschend unvorhersehbar erwiesen.
Dennoch durfte er nicht annehmen, dass sie sofort in unbekannte Gefilde
aufbrechen würde. Wenn sie in der Stadt blieb, würde sie früher oder später an
dem McDonald's zumindest vorbeifahren, wenn nicht heute, dann eben morgen.
Und wenn nicht morgen, dann vielleicht am selben Tag der nächsten Woche. Er
war ein geduldiger Mensch, er konnte warten.
»Ist sie also doch wieder hierher zurückgekommen«, wunderte sich Parrish.
»Ganz schön mutig, findest du nicht? Damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.
Glaubst du, sie will mich umbringen? «
»Ja«, erwiderte Conrad leidenschaftslos. Abgesehen davon hätte es keinen
vernünftigen Grund für ihre Rückkehr nach Minneapolis gegeben. Dazu war es
viel zu gefährlich. »Vielleicht sollten wir sie es versuchen lassen. « Parrish
lächelte mit vor Erwartung glänzenden Augen. »Lass sie doch auf uns
zukommen, Conrad. Wir werden sie mit offenen Armen empfangen. «
Kapitel 13
»Niall, ich habe gestern Nacht schon wieder von dir geträumt. Ausnahmsweise
hast du weder gekämpft, noch warst du im Bett, sondern du hast ruhig vor dem
Kamin gesessen und dein Schwert gereinigt. Du hast keinen traurigen, dafür
aber einen grimmigen Eindruck gemacht, als ob du eine Bürde tragen müsstest,
unter der die meisten Menschen zusammenbrechen würden. Worüber hast du
nachgedacht? Weshalb bist du so einsam? Hast du an die Tempelbrüder gedacht,
an all deine Freunde, die du verloren hast, oder war es etwas anderes, das dich
so verhärtet hat? Nimmst du es übel, dass du als Abtrünniger leben musst,
während dein Bruder König ist? «
Über ihre Zeilen erschrocken, zog Grace die Hände von der Tastatur zurück. Von
ihm zu träumen war eine Sache, ihm zu schreiben eine gänzlich andere. Das
Gefühl, sie würde tatsächlich mit ihm kommunizieren, als ob er ihre Worte lesen
und ihr antworten könne, verstörte sie. Offenbar waren die Anstrengungen der
letzten acht Monate nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie konnte nur hoffen,
dass sie nicht vollkommen überschnappte.
Sie hatte ihre alten Tagebuchaufzeichnungen wiederaufnehmen wollen, aber
irgendwie konnte sie sich die tagtäglichen Details nicht mehr so gut merken wie
früher. Zum einen gab es in ihrem Leben überhaupt keine Routine mehr, und
ohne Routine konnte es auch nichts Ungewöhnliches geben. Sie hatte auf die
leere Bildschirmseite und ihre Finger auf der Tastatur gestarrt, aber keine Zeile
über den vergangenen Tag zustande gebracht. Sie hatte keine Verabredungen,
die sie halten musste, keine Neuigkeiten, die sie mit anderen teilen wollte,
überhaupt hatte sie nichts, das sie mit anderen verbunden hätte. Die Tage
verbrachte sie schweigend und abgestumpft, lediglich ihr Hass auf Parrish oder
aber das Übersetzen der Dokumente konnte ihr etwas Leben einhauchen.
Obschon Niall eine Traumgestalt war, bildete er doch in ihrem tristen Leben den
einzigen Höhepunkt. Er erschien ihr lebendig, als ob er sich unmittelbar hinter
ihrer Zimmertür
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