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Wie Tau Auf Meiner Haut

Titel: Wie Tau Auf Meiner Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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befände. Man konnte ihn zwar nicht sehen, aber dennoch war er
    unleugbar da. Sein Mythos, seine Geschichte waren der einzige Farbfleck in
    Graces Leben. Durch ihn fühlte sie sich immer noch lebendig, fühlte sie die heiße
    Flut lodernder Leidenschaft. Mit ihm konnte sie so reden, wie sie es nie wieder
    mit irgendeinem ihrer lebenden Mitmenschen würde tun können. Der Graben
    zwischen Vergangenheit und Gegenwart war zu tief, zu einschneidend. Von der
    bescheidenen, belesenen und recht unerfahrenen Frau von damals war nicht
    mehr viel übrig geblieben. In gewisser Weise war sie ebenso unwirklich wie Niall.
    Ihre Einsamkeit spürte sie bis ins Mark. Es war nicht die Gesellschaft mit
    anderen, nach der sie sich sehnte, sie brauchte kein offenes Ohr, keinen Klatsch
    und kein Gelächter. Aber jetzt war sie auf eine Art und Weise einsam, wie sie es
    sich früher niemals hätte vorstellen können. Einsam, als wäre sie ein Astronaut,

    der sich von seiner Raumstation gelöst hatte und nun unversehens in einer
    geradezu unbegreiflich absoluten Leere schwebte. Mit Harmony Johnson hatte sie
    eine Art Freundschaft verbunden, wäre sie jedoch geblieben, hätte sie Harmony
    zu sehr gefährdet. Während der sechs Monate, die sie jetzt wieder in Minneapolis
    lebte, hatte sie sich praktisch mit niemandem wirklich unterhalten. Sie wachte
    allein auf, sie arbeitete vollkommen isoliert, dann ging sie wieder allein ins Bett.
    Allein. Was für ein verzweifeltes, hohles Wort.
    In ihren Träumen war Niall immer allein gewesen. Innerlich einsam, genau wie
    sie es war. Er konnte inmitten einer Menschenmenge sein, er war dennoch
    einsam. Irgend etwas an ihm machte ihn unberührbar, etwas, was außer ihm
    kein Mensch erkannte. Der goldene Schein des Feuers zeichnete die scharf
    geschnittenen Linien seines Gesichts nach und betonte die tief liegenden Augen
    und die hohen Wangenknochen. Mit zielsicheren Bewegungen reinigte er seine
    Waffen, seine langen Finger befühlten die Klinge und suchten sie nach Kerben
    ab, die ihre Schärfe beeinträchtigen würden. Er machte einen selbstvergessenen,
    etwas abgehobenen Eindruck. Plötzlich hatte er den Kopf gehoben und
    angespannt gelauscht, als ob er nach jemandem außerhalb des Traumes
    Ausschau hielte. Seine schwarze Haarmähne fiel ihm über die breiten Schultern,
    seine schwarzen Augen zogen sich zusammen. Er war das Sinnbild eines Tieres,
    dessen Wachsamkeit zu keiner Zeit unterbrochen wurde. Als sich keine
    Bedrohung zeigte, entspannte er sich allmählich wieder. Dennoch vermittelte er
    ihr den Eindruck eines Mannes, dessen Wachsamkeit niemals nachließ. Er war
    der Hüter des Schatzes.
    Sie hatte seine Schulter berühren wollen, sich leise neben ihn vor die Feuerstelle
    setzen und ihn bei der Reinigung seiner Waffen beobachten wollen. Sie wollte
    ihm von ihrer Wärme geben und ihm zeigen, dass er doch nicht ganz allein war -
    vielleicht würden sie so Freundschaft und Kameradschaft finden. In diesem
    Traum aber hatte sie die Rolle des Beobachters inne, sie konnte nicht näher an
    ihn herantreten. Schließlich wachte sie, ohne ihn berührt zu haben, auf.
    »Wenn ich bei dir wäre... «
    Erschrocken starrte sie auf die Worte, die sie eben gerade getippt hatte. Sie
    waren ihr unwillkürlich herausgerutscht, ihre Finger hatten sich auf der Tastatur
    selbstständig gemacht, und die Worte waren auf dem Bildschirm erschienen.
    Plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun und schloss ihre Tagebuchdatei. Ihre
    Hände zitterten. Sie musste endlich damit aufhören, sich Niall als jemanden

    vorzustellen, der heute noch lebte. Ihre Fixierung auf ihn war wirklich zu
    übermächtig. Anfangs erschien es ihr sinnvoll, sich auf ihn zu konzentrieren. Es
    war eine ihrer Möglichkeiten, überhaupt am Leben zu bleiben. Was aber, wenn
    der gegenteilige Effekt einsetzte und sie sich ganz und gar in ihrer
    Vorstellungswelt verlor? Wenn ein Psychiater ihre Tagebucheinträge lesen würde,
    würde er sie als vollkommen realitätsfremd einstufen.
    Die Wirklichkeit jedoch war die, dass sie den Mord an ihrem Mann und ihrem
    Bruder vor Augen hatte. Sie sah sich selbst im kalten Regen kauern, zu
    ängstlich, die Straße zu überqueren, sie sah sich in Warenlagern übernachten
    und körperliche Angriffe abwehren. Die Wirklichkeit war, bei Parrishs Stimme zu
    einer Eissäule zu erstarren. Außer der Flucht in ihre Traumwelt hatte sie nichts
    mehr vom Leben.
    Sie blickte auf den Stapel Dokumente, auf die unzähligen mit Notizen

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