Wie vernascht man einen Millionär?
war klar, dass sie sich in absehbarer Zeit nicht beruhigen würde. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht anschreien würde. Oder ihn ans Schienbein trat.
Sie ging ins Schlafzimmer. Schließlich musste sie sich noch umziehen, bevor sie ihm entgegentrat. Und sich frisieren. Und Make-up auflegen. Sie würde Lucas King eine Lektion erteilen, die er so schnell nicht vergessen würde.
Und wenn es das Letzte war, das sie für ihn tat!
„Lucas …“
Er blickte nicht einmal von seinem Schreibtisch hoch. „Evelyn, wenn du nicht willst, dass dauernd Katies Kekse im Pausenraum ausliegen, dann klär das mit Rafe.“
„Diesmal geht es ausnahmsweise nicht um die Kekse“, erwiderte seine Sekretärin. „Da ist jemand, der dich sprechen möchte.“
Jemand? Warum nannte Evelyn nicht den Namen des Besuchers? Als Lucas hochblickte und den Mann sah, der hinter seiner Sekretärin auftauchte, verstand er. „Dave.“
Wenn es eine Person gab, mit der er nicht gerechnet hatte, dann war es Dave. Na ja, und vielleicht Rose. Aber die würde sich garantiert nicht blicken lassen. Zwischen ihnen war es aus, das hatte sie ihm bei seinem Besuch in ihrem Haus deutlich gemacht. Natürlich bereute er sein Verhalten, aber was passiert war, war eben passiert.
„Ist schon in Ordnung, Evelyn“, sagte er und erhob sich. Als er den Besucher musterte, stellte er fest, dass seine Wut auf ihn verflogen war.
Rafe und Sean hatten ihm ja gesagt, er solle Vergangenes vergessen sein lassen. Und irgendwie – unbemerkt – schien ihm das innerhalb der letzten Tage tatsächlich gelungen zu sein. Wie und warum wusste er nicht. Aber sein Zorn war verschwunden, und das fühlte sich richtig gut an.
Als Evelyn die Tür von außen geschlossen hatte, sagte Dave ganz ruhig: „Du hättest Rose da nicht mit reinziehen dürfen, Lucas.“
Wieder spürte er Reue, Scham, Bedauern. Aber nur gegenüber Rose, nicht gegenüber Dave. „Und du hättest unsere Freundschaft nicht verraten dürfen, Dave.“
„Himmel, das war eine Sache zwischen dir und mir. Meine Schwester hatte nichts damit zu tun.“
„Falsch. Das war eine Sache zwischen deiner Familie und meiner Familie. Dave, du hast nicht nur mich betrogen, sondern auch meine Brüder. Wegen dir sind uns viele große Aufträge durch die Lappen gegangen.“
„Ja, ich weiß. Ich kann selbst kaum glauben, dass ich das getan habe. Ich … ich wollte es eigentlich auch gar nicht.“
„Aber du hast es getan.“
„Ich brauchte das Geld“, erwiderte sein alter Freund. In seinem Blick lagen gleichzeitig Stolz und Scham.
Mit so einem Geständnis hatte Lucas nicht gerechnet. Zwar war die Familie Clancy nicht so reich wie die Kings, aber doch sehr wohlhabend. „Du hast das Geld gebraucht? Wofür? Was war so verdammt wichtig? Wichtiger als unsere Freundschaft?“
Vielleicht bekomme ich jetzt endlich die Antwort auf die Fragen, die mich so lange gequält haben, dachte Lucas. Mal sehen, ob es mir nach so langer Zeit noch etwas bedeutet.
Damals hatte ihn der Verrat seines Freundes sehr verletzt, und er hatte in den vergangenen zwei Jahren viel zu oft darüber nachgegrübelt. Vor allem aber hatte er nach diesem Vorfall seine Menschenkenntnis in Zweifel gezogen, und das hatte ihn sehr verunsichert. Wenn er sich in Dave so getäuscht hatte – vielleicht konnte er dann auch andere Menschen in seinem Umfeld nicht richtig einschätzen?
„Mein Vater lag im Sterben, und die Geschäfte liefen schlecht“, begann Dave. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, als ob er froh wäre, endlich alles offenbaren zu können. „Dad hatte in dem Jahr, bevor ich das Unternehmen übernommen habe, einige schlechte Investitionen getätigt. Dadurch hatte die Firma den Großteil ihres Kapitals verloren. Aber wir mussten Lieferanten bezahlen, wollten keine Leute entlassen – dazu noch die enormen Krankenhausrechnungen für meinen Vater. Deshalb brauchte ich die Aufträge dringend, Lucas, sonst wären wir in Konkurs gegangen.“ Betreten blickte er zu Boden. „Ich musste meine Familie vor dem Schlimmsten bewahren. Ich bin froh, dass mir das gelungen ist – aber es tut mir unendlich leid, wie ich es getan habe. Dass ich dich dafür hintergangen habe.“
Lucas konnte sich vorstellen, dass seinem alten Freund dieses Geständnis nicht leichtfiel. In gewisser Weise konnte er sogar Verständnis für ihn aufbringen. Schließlich würde auch er fast alles für seine Brüder tun, wenn auch wahrscheinlich nichts Illegales. Jetzt, wo er
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