Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
Deutschland. Dafür gibt es zu viele Crashs, die dazwischen kommen können. Im Sommer 2007 hätte niemand geahnt, dass die USA fünf Jahre später bei 100 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt gelandet sind. Oder dass die Japaner bei mittlerweile mehr als 200 Prozent liegen.
Dann bleibt auch den Leuten aus Ratingagenturen nichts anderes, als sich an Glaubensformeln festzuhalten. Was wiederum erklärt, warum sie bei großen Marktschocks meist genauso danebenliegen wie alle anderen. Das galt für den Zusammenbruch von Enron 1997 ebenso wie für die Asienkrise oder die Staatspleite Argentiniens. Es galt, schlimmer noch, auch für die große Finanzkrise seit 2007. Auch die Agenturen haben Subprime-Kredite am US-Immobilienmarkt bis zum Schluss hoch gehandelt. Griechische Anleihen wurden noch mit A-Noten bewertet, als die Krise schon kochte. Und den Crash der Banken haben die designierten Besserwisser ebenfalls erst nachträglich in die Benotung aufgenommen.
Wenn es auch die Ratingagenturen nicht so richtig wissen, verkehrt sich ihr Nutzen ins Gegenteil. Dann folgen sie aus Vorsicht im Zweifel auch nur dem Herdentrieb. Mit einem potenziell folgenschweren Unterschied: Ihre Urteile werden so publikumswirksam verkündet, dass sie damit exzessiv panikartige Marktbewegungen noch verstärken können. Dann werden die Kreditbewerter zu zweifelhaften Katastrophenverstärkern.
»Vor der Krise haben die Ratingagenturen uns über Jahre erzählt, dass die steigenden Schulden der Banken kein Problem seien«, sagt Paul de Grauwe von der London School of Economics (LSE). Was sich als dramatische Fehleinschätzung erwiesen hat. Danach reagierten sie übertrieben skeptisch, als es um Europas Staatsschulden ging. »Wie können diese Agenturen jetzt noch irgendeine Glaubwürdigkeit beanspruchen, wenn es um Risikoanalysen geht?«, so de Grauwe. »Die Ratingagenturen haben systematisch damit falsch gelegen, über ihre Noten Belohnungen auszusprechen oder Strafen zu verteilen.«
Das Fazit drängt sich auf: Ratingagenturen sind weder Ersatz für die Vielfalt an Informationen, die ein funktionierender Markt bräuchte, noch helfen sie, das System zu stabilisieren. Sie sind entweder sinnlos, wenn sie Trends nur folgen. Oder sie verstärken den Hang zu Übertreibungen. Dann tragen sie zum irren Wechsel aus Euphorie und Depression bei – und sind Teil der prozyklischen Verstärker, die aus menschlicher Überforderung fatale Finanzkrisen machen.
Euphorie und Panik mit Tante Erna
Ein bisschen Herdentrieb würde sicher nicht reichen, um die Welt in immer gefährlichere Finanzkrisen zu stürzen. Ähnliches gilt für einzelne Spekulanten und Ratingagenturen, die das Auf und Ab an den Märkten selten allein bestimmen können. Dazu haben einzelne Finanzjongleure doch zu wenig Einfluss. Dafür ist der Anreiz auch zu groß, mit dem Strom zu schwimmen. So richtig spektakulär werden Booms und Crashs seit Beginn der Finanzglobalisierung erst durch die kollektive Eigendynamik, die nicht nur die Profis erfasst. Irgendwann steigen auch Tante Erna und der Papst ein und sehensich dann ebenfalls durch steigende Kurse oder Immobilienpreise bestätigt. Ergebnis: Die Erwartungsblase wird größer.
Furchtbar dumm? Müsste es da nicht doch Leute geben, die das Überschießen der Kurse erkennen und auf Rückkehr setzen? Sollte man meinen. Nur ist das in den jeweiligen Momenten, wenn Euphoriewellen entstehen, gar nicht so eindeutig, wie es im Nachhinein meist aussieht. Worin die nächste, ganz menschliche Tücke steckt.
Aus heutiger Sicht erscheint es als verrückt, wie im Taumel der New Economy unzählige Dotcom-Firmen in irgendwelchen Garagen tolle Dinge entwickelten, die nach menschlichem Ermessen nie Geld bringen würden – und ihre Kurse an der NASDAQ trotzdem immer höher schnellten, weil es genug Leute gab, die vom Glauben betört waren, dass die Ideen doch irgendwie Geld bringen würden, schon weil alle anderen das auch machten und glaubten.
Wer sich in die Stimmungslage von damals zurückzuversetzen versucht, erinnert sich vielleicht noch, wie schwer es in so einem Hype ist, auf die schnöden Gesetze ökonomischer Anziehungskraft hinzuweisen, etwa darauf, dass man ohne Umsatz keinen Gewinn machen kann. Zumal man sich damit in so unbeschwerten Zeiten ja nicht beliebt macht. Spielverderber. In solcher Zeit wirkt der menschliche Reflex zur selektiven Wahrnehmung besonders zuverlässig. Da sind Zeitungen voll damit, wie dieser oder jener
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