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Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Titel: Wie Viel Bank Braucht der Mensch? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fricke
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einer ordentlich funktionierenden Finanzwelt bräuchte es so etwas wie Ratingagenturen gar nicht zu geben. Wozu auch? Es gibt endlos viele Branchendienste, Analysten, Bankberater, Investoren, Groß- und Kleinanleger, Anlegerzeitungen und den Börsenbericht vor der Tagesschau , die alle irgendwie am Markt sind, die über Firma Dümmler und Land Drachnien Bescheid wissen, die Informationen sammeln und die Einschätzungen und Prognosen von sich geben. So wie sich das Milton Friedman und seine Anhänger erträumt hatten: Wenn endlos viele mitmachen, ist das die beste Gewähr, dass alles an Informationen einfließt, was zur Beurteilung einer Firma oder eines Staats und deren Aussichten nötig ist. Dann ergibt die Masse das bestmögliche Ergebnis, die beste Erwartung, den wahren Preis. Wozu braucht man dann Leute, die einem sagen, ob Dümmler oder Drachnien nun Note AAA oder CCC haben? Und die der Öffentlichkeit berichten, wie entsprechend kreditwürdig ein Unternehmen oder ein ganzes Land ist?
    Dann bräuchte es nicht zigtausendfach Klauseln in Kreditverträgen zu geben, in denen steht, dass der Schuldner eine bestimmteMindestnote bei den Ratingagenturen haben (oder behalten) muss. Dann müssten Fonds und Versicherungen nicht darauf achten, dass sie keine Aktien von minderbenoteten Unternehmen halten. Dann bräuchte es auch keine Klauseln, die Notenbanken dazu verpflichten, keine Staatsanleihen als Sicherheit zu halten, die unter Note ABC liegen. Dann müssten Regierungen herabgestufter Länder auch nicht immer so demonstrativ Gelassenheit äußern – um intern gleich die Justitiare mögliche Sanktionen gegen die Agentur prüfen zu lassen.
    Die Wahrheit ist: Ratingagenturen sind gefragt, gerade weil das mit der perfekten Information nicht so funktioniert, wie es die Vordenker dachten. In den USA wurde Banken 1936 erstmals vorgeschrieben, das Urteil von Ratingagenturen einzuholen, wenn sie Forderungen übernahmen – als Reaktion auf den Crash 1929 und auf der dringlichen Suche nach strikterer Regulierung der Finanzmärkte.
    Wenn es stimmt, dass Händler überfordert sind und nach simplen Daumenregeln suchen, um die Informationsflut zu untertauchen, scheinen Ratingagenturen natürlich praktisch zu sein. Da gibt es eine Note. Punkt. Dann sind die Ratings womöglich so eine Art Sehhilfe für orientierungslose Investoren – auf der Suche nach dem vermeintlichen Gleichgewichtspreis. Oder sie helfen beim Versuch, zu erahnen, was die anderen glauben, wie der Durchschnitt den Kurs bewertet. Diesen etwas komplizierten gedanklichen Weg kann man sich sparen – und gleich bei der Ratingagentur fragen. Deren Urteil kennen die anderen ja auch. Und dann kann man als Fondsmanager im Zweifel immer sagen, dass ja die Agentur dies oder das auch so benotet hat, wenn mal wieder ein paar Millionen in den Sand gesetzt wurden.
    Das Problem ist, dass das natürlich nichts mehr mit der hehren Annahme von den vielfältigen Akteuren zu tun hat. Und die Sache funktioniert natürlich auch nur, wenn es die Ratingagenturen tatsächlich besser wissen.
    Als Informationen noch per Briefpost (oder Telegramm) geschickt wurden, mag es Gründe gegeben haben anzunehmen, dass gut organisierte Ratingagenturen einen Kenntnisvorsprung hattenund damit exklusive Nachrichten einbringen konnten. Heute kann man fast jede Neuigkeit über ein Unternehmen oder einen Staat binnen kurzem im Internet recherchieren, gibt es Datenbanken und Recherchedienste. Und es gibt nicht wirklich viele Informationen, die so eine Ratingagentur exklusiv hat. Damit stehen die Agenturen aber vor dem gleichen Problem wie die, denen sie eigentlich helfen sollen: den richtigen (Gleichgewichts-)Preis auszumachen.
    Wenn eine Ratingagentur ihre Wertung für ein Land vergibt, steht sie vor dem zitierten Problem, beurteilen zu wollen, wie kreditwürdig das Land in, sagen wir, zehn Jahren ist. De facto geht es ja darum zu sagen, wie gut oder schlecht die Chancen eines Anlegers stehen, eine zehnjährige Staatsanleihe dieses Landes in zehn Jahren auch wieder ausgezahlt zu bekommen. Was, mit Verlaub, kein Mensch weiß. Nicht einmal bei einem Land wie Deutschland. Prognostiker haben schon Mühe, die Entwicklung einer Volkswirtschaft über zwei Jahre vorherzusagen. Über zehn Jahre ist das nicht ernsthaft möglich.
    Dafür gibt es in der Wirtschaftsgeschichte auch zu viele Fälle von Ländern, die unvorhergesehen zu boomen begannen, wie zuletzt China, oder plötzlich aufhörten, wie einst Japan oder

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