Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
zurückzahlen zu können. Als die Preise implodierten, implodierten auch diese Kalküle.
Die größte Besonderheit dieser neuen Krise dürfte indes darin gelegen haben, dass Finanzmärkte und Banken in den Jahren zuvor eine ungekannte gegenseitige Kreditvergabe und hyperkomplexe Finanzinstrumente entwickelt hatten – eine Verflechtung, die mit dem Platzen der Blase eine atemberaubende Kettenreaktion auslöste. Und von der bezeichnenderweise nur Länder einigermaßen verschont blieben, die wie Kanada oder Indien ihr Finanzsystem reguliert gehalten hatten – oder es wie die Schweden nach der eigenen Bankenkrise in den 90er Jahren bereits wieder reguliert hatten.
Weil die Preise plötzlich fielen, gerieten etliche Kreditnehmer in Not, was die Banken, die diese Kredite vergeben hatten, selbst zunehmend ins Wanken brachte. Was aufflog, war die trügerische Zuversicht, in der sich die Banken wähnten, weil sie in den deregulierten 2000er Jahren ihre Risiken angeblich wunderbar verteilt – im Fachjargon: gestreut – hatten. Und dass es jetzt diese Kreditausfallversicherungen gab, die am Markt gehandelt wurden – und deren Kurse ja vermeintlich untrügerisch signalisierten, dass es im Grunde kein Risiko mehr gab.
De facto potenzierten die neuen Finanzinstrumente die prozyklische Wucht von Euphorie und Depression. Weil in der Euphorie alle ans Glück glaubten, waren ja auch die Risikoprämien auf die wunderbaren Kreditausfallversicherungen stetig gefallen, was die Zuversicht bis zur letzten Sekunde anheizte. Und da die Risiken hinreichend gestreut schienen, wähnte sich jede Einzelne in Sicherheit – weil die Zuversicht auf gegenseitiges Vertrauen in ewig steigende Kurse und Preise beruhte, was ermöglichte, auf Basis entsprechend großer (virtueller) Vermögen entsprechend großzügig auch Kredite zu vergeben.
Im Sommer 2007 flog auf, wie sehr sich die Beteiligten aufeinander und auf ewig schöne Zeiten verlassen hatten, mussten die ersten Banken einräumen, dass sie für so viele ausfallende Kredite nicht gewappnet waren, wirkte das vorherige Streuen von Risiken plötzlich fatal verstärkend von einer Bank zur anderen, schossen Risikoprämienfür Ausfallversicherungen hoch, brachte die neue Panik selbst den großen Versicherer AIG in Not.
Wie sehr die Banken in diesem Kreditsystem schon verwoben waren, wurde klar, als selbst deutsche Geldhäuser zugeben mussten, wie sehr ihnen das Platzen der Immobilienblase zusetzte, obwohl es in Deutschland gar keine solche Blase gegeben hatte, auch keine Privatschuldenexzesse, und die Banken bis dahin als solide galten. In Wirklichkeit hatten Privat- wie Landesbanken über Jahre rund um den Globus mächtig mitgespielt, ob auf Amerikas Subprime-Markt oder bei Spaniens Immobilienblase.
Nach gut einem Jahr eskalierte die Lage, als im September 2008 die US-Regierung entschied, die Investmentbank Lehman Brothers doch nicht zu retten. Der Coup sollte den bösen Bankern demonstrieren, dass nicht jeder, der Unsinn macht, mit Steuergeldern gerettet wird. Gut gemeint. Nur ließ die Lehman-Pleite binnen weniger Tage aus einem immer noch einigermaßen kontrollierten Finanzdebakel eine Krise im Jahrhundertmaßstab werden. Denn der Schock bewirkte vor allem eins: Panik – und Zweifel an den Grundlagen täglichen Wirtschaftens in einem System, das auf dem Vertrauen basiert, verliehenes oder gespartes Geld wiederzubekommen. Die Entscheidung der US-Regierung hatte ein Ambiente geschaffen, indem bald niemand mehr sicher schien, ob die eigene Bank am nächsten Tag noch da war. Was dazu führte, dass Anleger in Panik Geld abzogen und neue Schockwellen durchs System jagten, und dass selbst in Deutschland die Anzeichen im Herbst 2008 zunahmen, dass Sparer vermehrt Geld von der Bank holten, was für das Finanzsystem Alarm bedeutet.
Wie erst allmählich klar wurde, setzte in den Wochen nach der Lehman-Pleite eine systemische Schockstarre ein – mit enormen globalen Auswirkungen. Weil viele Banken in Panik jene Kreditabsicherung verweigerten, die Exporteure beim Verkauf in ferne Länder brauchen, wurden plötzlich überall Aufträge abrupt gestoppt, ging in vielen Betrieben gar nichts mehr. Mit dem Ergebnis, dass der Welthandel binnen Wochen einbrach. Die Exportaufträge der deutschen Industrie lagen am Tiefpunkt im Februar 2009 plötzlich 40 Prozent unter Vorjahr.
In diesem Winter erinnerte erschreckend viel an das, was dem Crash von 1929 gefolgt war – eine jahrelange Depression mit
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