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Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Titel: Wie Viel Bank Braucht der Mensch? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fricke
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ließ, gab es auch hier keinen automatischen Stoppmechanismus. »Die Wirtschaft selbst war fortan mindestens so sehr damit beschäftigt, Kapitalgewinne zu erzielen wie Profite aus realen Investitionen«, sagt Dirk Bezemer aus Groningen. Das habe auch dazu beigetragen, dass alles Mögliche zu einem Vermögenswert mit Potenzial zum Spekulieren wurde – ob Häuser, Firmen, Altersvorsorge oder Nahrungsmittel.
    Der Wiener Finanzmarktexperte Stephan Schulmeister geht noch weiter: Für Unternehmen wurde es angesichts instabiler Aktienkurse, Rohstoffpreise, Wechselkurse und Zinsen schwerer, überhaupt zu ermitteln, welche Rendite eine reale Investition mittelfristig bringen würde. Was den Hang verstärkt haben dürfte, in neue Maschinen und Anlagen erst dann zu investieren, wenn eine wirklich sehr hohe Rendite zu erwarten ist – ein Gewinn, der mit dem konkurrieren kann, der am Finanzmarkt winkt. Wenn plötzlich derÖlpreis von 50 auf 150 Dollar hochschnellt, ist es im Zweifel lohnenswerter, mal schnell mit Ölderivaten zu spekulieren und Gewinne mitzunehmen, als real zu investieren. Die Folge war, dass »nur mehr solche Realinvestitionen getätigt wurden, welche den höheren Renditeanforderungen genügen«. In den Vorständen von Siemens und anderen Konzernen habe das Gewicht derer im Laufe der Jahre zugenommen, die dafür zuständig sind, das Geld aus den eigenen Gewinnen zu verwalten, und die es im Zweifel lieber am irren Finanzmarkt anlegten, statt in eine neue Fabrik zu investieren.
    Wenn das stimmt, heißt das auch, dass durch die neuen Renditeverhältnisse über Jahre Strukturen aufgebaut wurden, die es ohne Finanzglobalisierung nicht gegeben hätte – zugunsten der Bankenwelt und zulasten des (großen) Rests. Wobei die Dynamik dort ohnehin schon geschwächt war, weil der Finanzrausch denen viel Geld brachte, die es nur zum kleineren Teil ausgaben. Wenn das stimmt, ist plötzlich klar, warum die tolle neue Finanzzeit mit schwächerem Wirtschaftswachstum zusammenfiel, nicht mit stärkerem; und warum die Konsumdynamik trotz vervielfachter Vermögen nachließ. Dann hat der Rest der Welt die Bankensause mit einem Verlust an Wachstum und Einkommen bezahlt. Auch das sind Kosten – für entgangenen Wohlstand.
    Der Schnitt ist klar erkennbar. In den 60er und 70er Jahren stagnierten die Aktienkurse, das Profitstreben der Unternehmen habe sich da auf Realinvestitionen konzentriert, so Schulmeister. Ergebnis: Die Ausstattung der deutschen Wirtschaft mit Maschinen, Anlagen, Fabriken und Büros hat sich von 1960 bis 1980 etwa versiebenfacht. Nach 1982 seien die Relationen dagegen völlig umgekehrt. Da seien die Aktienkurse um zeitweise mehr als das Zehnfache gestiegen – und der Kapitalstock der Wirtschaft habe sich in einem Vierteljahrhundert nicht einmal mehr verdoppelt. Seit 1982. Kein Zufall. Da ging die Finanzsause los.
    Andrew Haldane zitiert Schätzungen, wonach in Großbritannien die Rendite auf das Aktienkapital der Finanzbranche seit den 70er Jahren auf durchschnittlich 20 Prozent hochgeschnellt ist – von fast durchweg nur 6 bis 7 Prozent in den fünf Jahrzehnten zuvor. Neue Welt, neue Ansprüche. Wer weiß, vielleicht hätten die Briten ohneAufblähung der City heute wenigstens noch so etwas wie eine solide Autoindustrie.
    Natürlich dürften auch der Aufstieg vieler Schwellenländer und Billigkonkurrenten eine Rolle dabei gespielt haben, das Wachstum in den reicheren Volkswirtschaften zu bremsen. Die neue Konkurrenz allein kann aber nicht erklären, warum bei Banken plötzlich Mondrenditen möglich waren. Vom Vermögen der Reichsten allein kriegt man halt keine Wirtschaft zum Wachsen gebracht; da zählt die Masse. Die Dynamik nimmt rein rechnerisch einfach stärker zu, wenn 99 Prozent der Einkommen angemessen zulegen, als wenn die oberen ein Prozent ihre Vermögen vervielfachen. Nur so lässt sich auch erklären, warum wir in einer Zeit leben, in der es in Deutschland fünf Billionen Euro Barvermögen gibt – und alle von leeren Kassen reden.
    Auch hier ist nach 30 Jahren der Saldo für uns alle wohl negativ: Ohne Finanzglobalisierung wäre seit den 80er Jahren mehr und sinnvoller investiert worden, nicht weniger und in Potemkinsche Dörfer. Ohne die immer grotesker hochgeschraubten Renditen auf Finanzanlagen wäre mangels Alternative mehr Geld in vernünftigere Investitionen geflossen. Das hätte mehr Arbeitsplätze und Wachstum geschaffen, und es gäbe weniger Arbeitslose. Und dann hätten etwa die

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