Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
zwar gering, deren Folgen im Falle ihres Eintretens aber enorm seien, schreiben die Experten der Liikanen-Gruppe für die EU-Kommission. Sprich: Es gibt für die jeweils nächste Großkrise selten ein exaktes Vorbild – geschweige denn genügend Präzedenzfälle, um in Modelle einzufließen, die auf durchschnittliche Wahrscheinlichkeiten setzen.
Eine aufgeklärtere Version der Bilanzchecks scheinen die neumodischen Stresstests zu sein. Der Gedanke wirkt dabei erst einmal schlau: Weil es angesichts systemischer Risiken und möglicher Boom-Crash-Abfolgen wenig bringt, als Maßstab den Zustand der Banken in Normalzeiten (vor einer Krise) heranzuziehen, wird bei den Stresstests via Notfallmodell durchgespielt, wie sich die Bilanzen der Kreditinstitute bei einer sich plötzlich stark verschlechternden Gesamtlage entwickeln.
Klingt prima. Der mittlerweile bekannte Haken ist, dass erfahrungsgemäß oft erst im Nachhinein allmählich klar wird, was genau in so einer Finanzkrise passiert ist. Umso schwerer lässt sich das vorab simulieren, zumal in einer hochkomplexen Finanzwelt. Nach Ausbruch der Finanzkrise 2007 hat es ein, zwei Jahre gedauert, bis durchgedrungen war, wie das kam. Da hilft auch der Verweis darauf wenig, dass dieser oder jener Ökonom das Desaster angeblich vorhergesagt hat. Selbst der viel zitierte US-Ökonom und Dauerpessimist Nouriel Roubini lag mit seinen Crash-Prognosen jahrelang falsch – und als der Crash kam, sah er irgendwie anders aus als prophezeit. Niemand hätte so genau vorhersagen können, was der Lehman-Schock an Systemängsten auslöste und dass der Welthandel mit zweistelligen Prozentraten einbrach, was wiederum die Finanzlage verschlimmerte und so weiter.
Bei einem Auto lässt sich noch einigermaßen simulieren, in welchen Stress Karosserie und Fahrwerk bei bestimmten Aufprällen oder in scharfen Kurven geraten können. Das ist in der realen Finanz- und Bankenwelt weit schwerer. Was auch erklärt, warum bisherige Stresstests teils drastisch danebenlagen. Beispiel Euro-Krise. Nur sieben von 91 europäischen Banken fielen bei den Tests durch, die von der EU erstmals nach Ausbruch der Griechenlandkrise im Mai 2010 gemacht wurden, weil sie, so das Ergebnis, im Krisenfall zu wenig Eigenkapital haben würden. Wie die späteren Bankenkrisen in Irland und Spanien gezeigt haben, waren auf so eine Krise viel mehr Institute nicht vorbereitet. Da mussten plötzlich sehr viel mehr Banken in Not gestützt werden.
Klar: Beim Stresstesten 2010 war kaum absehbar, dass sich die Finanzkrise derart zuspitzen, sie auch große Euro-Länder erfassen und selbst vormals solide wirkende Institute so in Not bringen würde. Bis Anfang Juli 2011 kursierten unter Analysten ja noch die Listen mit Standardargumenten, warum Italien und Spanien anders und daher nicht krisengefährdet seien. Daher gab es für so eine Eskalation auch kein entsprechendes Stressszenario, was die Tests dann aber auch ad absurdum führt.
Solche Fehlergebnisse lassen sich selbst mit den besten Aufsehern nicht vermeiden. Dagegen spricht allein die Logik: DerartigeKrisen gäbe es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, wenn Aufseher ihren Ausbruch, ihre Entwicklung und ihre Folgen nur ansatzweise vorausahnen könnten. Wenn es sie gibt, dann deshalb, weil man das nicht kann, solange die Finanzwelt so unkontrolliert verwoben bleibt. Da helfen auch die schönsten Stresstests nichts.
Entsprechende Vorsicht gilt auch bei Vorschlägen, wie sie Finanzminister Schäuble und die EU-Expertengruppe um Erkki Liikanen gemacht haben. Danach soll jede Bank für den Notfall künftig einen Sanierungsplan in der Schublade haben. Grundgedanke prima: Wenn Bankmanager vorher einen Plan haben, wie der eigene Laden im Krisenfall abgewickelt wird, muss man sich darüber auch keine Gedanken mehr machen; dann ist via Banktestament alles geregelt. Morbide Krisenprävention. Was im Idealfall dafür sorgen soll, dass der Tod ausbleibt, weil gar keine Zweifel und keine Panik aufkommen. Toll. So ein Testament möchte man auch haben.
Das ist eine kuriose Vorstellung davon, wie es in Krisenzeiten (oder im richtigen Leben) zugeht, etwa vor und nach dem Lehman-Crash: ziemlich unvorhersehbar. Der Gedanke, die Lehman-Manager hätten für diese Tage im September 2008 vorher schon mal einen Plan entwerfen können, ist irre. Wäre das, was kam, in all seinen Konsequenzen zu ahnen gewesen, hätte die US-Regierung Lehman nie fallen lassen. Jeder Sanierungsplan hängt natürlich davon
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