Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
Reformen
Was also hilft, die Bankenbranche stabiler zu machen und künftige Desaster zu verhindern? Die Beschränkung von Banker-Boni, um Anreize zum Spekulieren abzubauen? Oder bessere Aufsichtsbehörden? Oder doch gleich die Zerschlagung der Banken? Oder ist die Aufsplittung von Geschäfts- und Investmenttätigkeiten das Wundermittel, um zu alter Stabilität zurückzukommen? Oder am besten alles zusammen?
An Angeboten mangelt es nicht, wie wir gesehen haben. Da gibt es eine US-Antwort und eine britische Antwort. Da gibt es Baseler und Brüsseler Regelwerke. Und deutsche Wahlkämpfer, die mit noch mehr Vorschlägen punkten wollen. Das Problem: Viele der neuen Gesetze seien »Flickschusterei, um den Status quo beizubehalten«, klagt Harvard-Professor Kenneth Rogoff. Da würden gute Ideen – wie etwa das vom ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker vorgeschlagene Verbot für Banken, auf eigene Rechnung zu spekulieren – durch tausend Einzeländerungen aufgeweicht und komplizierter gemacht. Statt einfache und dafür umso effizientere Regeln zu schaffen.
Höchste Zeit, ein Raster von Kriterien zu entwickeln, mit denen sich abschätzen lässt, welche Reformen richtig helfen – und welche nicht oder nur bedingt. Dabei muss die Leitfrage sein: Wie gut trifft jede einzelne vermeintliche Wundermaßnahme den Kern der Wirrnis?
Woran sich gute Reformen messen lassen
Wer für einen kranken Patienten die richtige Medizin wählen will, sollte wissen, was genau zu behandeln ist. Wo der Schmerz herkommt. Das ist bei der Behebung von Finanzkatastrophen nicht so viel anders.
Erste Diagnose: Seit Anfang der 80er Jahre gibt es eine Art Serienkrise, deren einzelne Episoden immer derselben Logik folgen – ob Asien-Crash, New-Economy-Pleite, Subprime-Sturz oder Euro-Drama. Erst gibt es eine mehr oder weniger nachvollziehbare Story, gute Nachrichten aus einer Branche, einem Land oder einer Region – dann entwickelt sich Hochstimmung, bis alle der Herde hinterherlaufen, selbst Tante Erna, und die Sache im Irrsinn endet: Crash. Weil es, im Gegensatz zu den Vorstellungen von Milton Friedman, keinen eingebauten Stoppmechanismus gibt, um aufkommenden Irrsinn zu stoppen. Die Realität an Finanzmärkten ist eher ein ständiges prozyklisch verstärktes Hinund Hersuchen, ein wechselndes Über und Unterschießen .
Zweite Diagnose: Das Auf und Ab wird desto schlimmer, je mehr Akteure aufsteigen und je mehr Umsatz gemacht wird. Weil der Aufwärtstrend im Boom zu immer neuen Wetten auf ewig steigende Kurse animiert – und dies tatsächlich zu schier endlos steigenden (virtuellen) Gewinnen führt. Je mehr mitmachen, desto krasser werden die Ausreißer: Die Wucht der irren Ausschläge nimmt mit der Masse zu – nicht ab, wie es bei ausreichend stabilisierenden Spekulanten der Fall wäre.
Dritte Diagnose: In jeder Boom-Bust-Krise hat sich gezeigt, dass es inmitten der Euphoriewellen schwer fällt, sich dem Sorglos-Ambiente zu entziehen, dass Pessimisten da nicht gut ankommen. Ebenso wenig wie Optimisten in der Korrekturphase nach Platzen der Blase. Die kollektive Psychologie von Euphorie- und Panikwellen macht blind. Was genau die Krise ausgelöst hat, wurde Politikern, Experten und Regulierern meist erst im Nachhinein klar.
Vierte Diagnose : Es gibt nicht nur schlechte Finanzgeschäfte. Die Trennlinie läuft ziemlich exakt zwischen jenen guten Krediten oder Schulden, die für reale Investitionen aufgewandt werden und wirtschaftlichen Mehrwert schaffen, und jenen schlechten Krediten , die von Bank zu Bank gehen, Vermögen wie Schulden steigen lassen und für den irren Kreditboom gesorgt haben.
Fünfte Diagnose : Das freie Wirken der Finanzmärkte hat in 30 Jahren eine Konzentration von Vermögen hervorgebracht, die wachsende gesellschaftliche und wirtschaftliche Schäden mit sich bringt. Weil so viel Ungleichheit krank macht. Und weil das Geld vor allem denen zufließt, die ohnehin schon so viel haben, dass sie es gar nicht mehr ausgeben können. Und die Wirtschaft umso weniger Nachfrage hat.
Aus diesen fünf Grunddiagnosen lässt sich ableiten, was gute Reformen können sollten – und was eher für die Galerie ist. Im Kern muss es darum gehen, möglichst viele Mechanismen zu schaffen, die blindes Hinterherrennen bremsen und die Prozyklik von Finanzgeschäften abbauen.
Der Versuch wird kaum gelingen, wenn man es einzelnen, noch so schlauen Aufsehern (oder Politikern) überlässt zu definieren, wann eine Übertreibung vorliegt oder nicht.
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