Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Basisgütern. Gesundheit erfordert anständiges Essen und Medizin. Muße erfordert Zeit ohne lästige Pflichten. Persönlichkeit erfordert einen Raum, in den man sich zurückziehen kann, ein »Hinterzimmer«. Wenn die Menschen in einem Staat zu arm sind, um diese Güter erwerben zu können, haben sie allen Grund, nach mehr Wohlstand zu streben. In unseren Überflussgesellschaften sind jedochdie materiellen Voraussetzungen für Gesundheit, Muße und Persönlichkeit seit Langem erfüllt; unser Problem besteht darin, den richtigen Gebrauch davon zu machen. Wie die anderen Basisgüter – Sicherheit, Respekt, Freundschaft und Harmonie mit der Natur – hängen sie nicht so sehr vom absoluten Wohlstandsniveau ab, sondern von der Organisation des Wirtschaftslebens und von anderen nichtökonomischen Faktoren. Sie geben uns keinen Grund, weiter auf Wachstumskurs zu bleiben.
Zweitens könnte Wachstum uns als
Hinweis
auf etwas anderes, das wir schätzen, interessieren. Adair Turner schlug in seinen Robbins-Vorlesungen 2010 vor, Wachstum »sollte nicht als
Ziel
der Wirtschaftspolitik betrachtet werden, sondern eher als ein höchst wahrscheinliches Ergebnis […] zweier Dinge, die um ihrer selbst willen erstrebenswert sind: ökonomische Entscheidungsfreiheit und ein rastloser Forschergeist und Veränderungswille«.[ 35 ] Wachstum könnte, anders formuliert, wie ein Kardiograf funktionieren: ein für sich genommen banales Messgerät, das etwas Wichtiges (wie beim Kardiografen die Leistung des Herzens) misst. Aber Wachstum kann diese Funktion nur erfüllen, wenn es a) zuverlässig mit ökonomischer Freiheit verbunden ist und b) ökonomische Freiheit selbst ein übergeordnetes Gut ist. Vor allem die zweite Annahme ist sehr zweifelhaft. Natürlich ist ein gewisser Grad ökonomischer Freiheit etwas Gutes (in unseren Begriffen ausgedrückt, ist ökonomische Freiheit ein Teil des Basisguts Persönlichkeit), aber andere Dinge sind auch gut, und einige davon könnten das Wachstum behindern.[ ***** ] Eine Gesellschaft, in der die Menschen sichere Arbeitsplätze haben und viel Zeit für Muße, könnte in ökonomischer Hinsicht träge sein. Ob eine gut ausbalancierte Volkswirtschaft Wachstum fördert oder nicht, ist eine empirische Frage; wir können nicht
a priori
annehmen, dass eine schnell wachsende Volkswirtschaft eine gesunde Volkswirtschaft ist.
Schließlich kann es sein, dass man Wachstum aus kurzfristigen pragmatischen Gründen verfolgt. Während einer Rezession, bei hoher Arbeitslosigkeit und hoher Staatsverschuldung hat Wachstum zu Recht Priorität. Aber wir müssen die kurzfristige und die langfristige Perspektive unterscheiden. Wachstum ist so etwas wie ein Antidepressivum: nützlich, damit der Patient wieder auf die Beine kommt, aber nicht geeignet als Droge für die dauerhafte Anwendung. Leider macht Wachstum wie viele Drogen süchtig. Die Politik muss ihre Behandlung klug wählen, damit das kurzfristige Heilmittel nicht zur bleibenden Gewöhnung führt.
Das fortgesetzte Streben nach Wachstum ist für die Verwirklichung der Basisgüter nicht nötig, es kann sie sogar zerstören. Die Basisgüter sind ihrem Wesen nach nicht marktfähig: Man kann sie nicht wirklich kaufen und verkaufen. Eine Volkswirtschaft, die darauf ausgerichtet ist, den Marktwert zu maximieren, wird diese Güter verdrängen und durch marktfähige ersetzen. Das Ergebnis ist eine vertraute Form der Korruption. Persönlichkeit wird ein Werbeschlagwort; Konsumenten der alltäglichsten Produkte wird suggeriert, sie würden durch den Konsum ihre Persönlichkeit »ausdrücken« oder sich »definieren«. Freundschaft ist nicht mehr wie für Aristoteles eine ernsthafte ethische Beziehung, sondern ein Zeitvertreib. Unterdessen ist die Muße selbst zum Gegenstand derselben ökonomischen Logik geworden, die in der Produktion herrscht: Sport, Spiele und Nachtclubs wollen ein Maximum an Aufregung in ein Minimum an Zeit pressen. »Der Markt durchdringt Lebensbereiche, die bis vor Kurzem noch dem Zugriff des monetären Austauschs entzogen waren«, schreibt der Soziologe Zygmunt Bauman. »Er hämmert uns unablässig die Botschaft ein, dass alles eine Ware ist oder zur Ware werden kann, und wenn es noch keine Ware geworden ist, sollte es
wie
eine Ware behandelt werden.«[ 36 ]
Solche Verschiebungen sind statistisch schwer fassbar. Die Basisgüter sind Qualitäten, nicht Quantitäten, Objekte des Urteilsvermögens, nicht der Messung. Messen lassen sich Stellvertreter für
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