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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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immer noch
eudaimonia
im antiken Sinn, aber denkbar weit von Solons einfacher Vorstellung entfernt.
    Das englische Wort »happiness« war wie seine europäischen Verwandten ursprünglich synonym mit
eudaimonia.
Glücklich zu sein, bedeutete, dass das Schicksal es gut mit einem meinte, bedeutete, in einer begünstigten, beneidenswerten Situation zu sein. »Wir wenigen, wir wenigen Glücklichen«, sagt Shakespeares Heinrich V. vor Agincourt zu seinen Soldaten in der festen Erwartung, dass sie getötet oder verstümmelt werden. Die alte Bedeutung »glückhaft« hat in englischen Redensarten wie »happy returns« und »happy chance« überlebt, ist aber im modernen Englisch seit dem 16. Jahrhundert weitgehend durch die neue Bedeutung (ein angenehmer, zufriedener Bewusstseinszustand) ersetzt worden. Philosophische Entwicklungen spielten bei dem Bedeutungswandel eine Rolle. Wenn das Bewusstsein der Kern der Persönlichkeit ist, wie Descartes und Locke behaupteten, dann muss auch Glück etwas Innerliches sein. Die Güter, von denen man einst glaubte, sie würden Glück
bedeuten
– Reichtum, Ehre, Ruhm und so weiter –, erschienen nun lediglich als
Ursachen
von Glück neben vielen anderen, von Person zu Person unterschiedlichen. Darüber zu streiten, welche davon »wirklich« Glück sind, ist absurd; genauso gut könnten wir, wie Locke in der in Kapitel 3 zitierten witzigen Bemerkung sagt, »darüber streiten […], ob die Äpfel oder die Pflaumen oder die Nüsse am besten schmeckten«.[ 4 ]
    Diese Veränderung hatte tief greifende Folgen. Wenn Glück das höchste Gut ist, wie es die Tradition lehrte, und wenn es ein angenehmer Bewusstseinszustand ist, wie die Philosophie nun verkündete, folgtdaraus,
dass das Gute selbst ein angenehmer Bewusstseinszustand ist.
Aus diesem Gedanken ging der Utilitarismus hervor, die vorherrschende ethische Denkrichtung in Großbritannien seit dem 19. Jahrhundert. In seiner klassischen, von Jeremy Bentham formulierten Form definiert der Utilitarismus richtiges Handeln als ein solches, welches das allgemeine Glück oder die Lust maximiert; Glück und Lust gelten als äquivalent. Die Objekte des Glücks oder der Lust spielen keine Rolle, es kommt allein auf die
Menge
an, wie Bentham treffend sagte: »Bei gleicher Menge an Lust [ist] das Nadelschieben ebenso gut wie Poesie«.[ 5 ] Diese karge Lehre passte gut zum technokratischen Zeitgeist. Anstelle der Anarchie der Meinungen versprach sie eine mechanische Regel für die Lösung moralischer und rechtlicher Konflikte, ein »hedonistisches Kalkül«, wie Bentham es nannte. Wie ein solches Kalkül in der Praxis aussehen könnte, wurde nie richtig erklärt. Benthams Darlegung mit den sieben Vektoren Intensität, Dauer, Wahrscheinlichkeit des Eintretens, zeitliche Nähe, Fruchtbarkeit, Reinheit und Verbreitung wirkt wie eine Karikatur wissenschaftlicher Theoriebildung. Wie wir sehen werden, treibt das Messproblem den Utilitarismus bis heute um.
    Der Utilitarismus gedieh auf demselben Nährboden wie die klassische Nationalökonomie. Bentham arbeitete eng mit David Ricardo und James Mill zusammen; James’ Sohn John Stuart Mill griff Benthams Ideen mit einigen wichtigen Veränderungen auf. Die marginalistische Revolution des späten 19. Jahrhunderts verstärkte diese Verbindung noch. Während frühere Ökonomen sich auf die Ausweitung der Produktion konzentriert hatten, betonten die Marginalisten die Freuden des Konsums. »Unsere Bedürfnisse mit der geringsten Anstrengung auf das Höchste zu befriedigen«, schrieb William Stanley Jevons, ein Pionier der neuen Denkrichtung, »den größten Betrag des Wünschenswerten mit den geringsten, unerwünschenswerten Kosten zu verschaffen – oder in anderen Worten,
die Freude auf ein Maximum zu bringen,
ist die Aufgabe der Ökonomie.«[ 6 ] F. Y. Edgeworth, der brillante, aber exzentrische Autor von
Mathematical Psychics
(Mathematische Seelenkunde), ging noch weiter. Damit die Ökonomie sinnvoll werde, brauche man ein»Hedonimeter«, ein »idealerweise perfektes Instrument«, um Lust zu messen:
    Von einem Augenblick zum nächsten verändert sich das Hedonimeter; bald zuckt der empfindliche Zeiger mit der Schwankung der Leidenschaften, bald ist er durch intellektuelle Tätigkeit beruhigt, über Stunden liegt er bei Null, und im nächsten Augenblick springt er in unendliche Höhe. Die Höhe wird kontinuierlich durch einen fotografischen oder einen anderen berührungslosen Apparat auf einer sich gleichmäßig

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