Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
so, wie wenn wir ein Theaterstück als tragisch oder komisch bezeichnen, bevor es zu Ende ist.
Leiden, für das es keine Entschädigung gibt, ist nicht das Einzige, was die Gestalt eines Lebens beeinträchtigen kann. Ein Leben mit lauter glücklichen Momenten von Anfang bis Ende kann trotzdem unglücklich sein, wenn die Momente sich nicht zu einem großen Ganzen zusammenfügen.[ 27 ] Dabei fällt einem gleich der Playboy ein, der von einem Hafen zum anderen und von einer Freundin zur nächsten zieht. Lord Glenconner, der 2010 starb, nachdem er sein Vermögen mit verschwenderischen Vergnügungen durchgebracht hatte, war ein Beispiel dafür. »Ich habe nicht viel davon gehabt«, soll er am Ende seines Lebens gesagt haben. »Es ist wie bei einer Party – am nächsten Tag ist alles vorbei.«[ 28 ] Wir werden Glenconner vielleicht nicht als glücklich bezeichnen, obwohl sein Leben viele glückliche Augenblicke hatte. Und selbst wenn er gestorben wäre, bevor die Reue eingesetzt hätte, hätten wir ihn vielleicht immer noch nicht glücklich genannt. Auf jeden Fall ist das Urteil strittig.
Ein weiteres krasses Beispiel für dieses Szenario liefert der Philosoph Fred Feldman. Er sagt, wir sollten uns einen Fall wie den vorstellen, den Oliver Sacks in seinem Buch
Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
schildert. Jamie, der am Korsakow-Syndrom leidet, kann nichts länger als einige Minuten im Gedächtnis behalten. Sein Leben besteht aus lauter Fragmenten – »eine zusammenhanglose Folge flüchtiger Episoden, die nichts miteinander zu tun haben«, wie Feldman schreibt.[ 29 ] Aber Jamie ist sich seines Zustands nicht bewusst. Er genießt jeden Augenblick, wenn er Schmetterlinge beobachtet, Dame spielt und so weiter. Ist er glücklich? Als treuer Anhänger seiner hedonistischen Theorie des Glücks muss Feldman daran festhalten, dass Jamie glücklich ist. Wir sind geneigt, das anders zu sehen. Wenn Eltern ihren Kindern ein glückliches Leben wünschen, haben sie in der Regel nicht so ein Leben vor Augen, wie Jamie es führt. Derartige Überlegungen lenken uns in die Richtung einer mehr objektiven Theorie des Glücks. Jamies Unglückbesteht zwar darin, wie sein Bewusstsein funktioniert, aber ist ihm nicht bewusst. Nur andere können es wahrnehmen.
Glück ist eindimensional.
Die ökonomischen Glücksforscher behaupten wie Bentham und Sidgwick und anders als Mill, alle Bewusstseinszustände ließen sich danach ordnen, wie glücklich sie sind. (Einige sagen außerdem, dass man jedem Zustand eine Kardinalzahl zuordnen kann, die den
Grad
des Glücks ausdrückt, aber das ist umstritten.)[ 30 ] Um es im ökonomischen Jargon zu sagen: Es gibt eine einzige »Währung« des Glücks. Die umgangssprachlichen Unterscheidungen zwischen Glück, Freude, Lust, Zufriedenheit und ihren verschiedenen negativen Gegenstücken werden vernachlässigt. Richard Layard schlägt eine geistreiche Analogie vor: Genau wie alle Geräusche unabhängig von Höhe, Tonlage und so weiter als mehr oder weniger laut eingestuft werden können, können alle Bewusstseinszustände als mehr oder weniger glücklich eingestuft werden.[ 31 ] Wäre es nicht so, wäre das Vorhaben, Glück zu messen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Diese Annahmen mögen aus Gründen der methodischen Bequemlichkeit nötig sein, sie sind trotzdem durch und durch fehlerhaft. Positive Gefühle kommen in vielerlei Gestalt daher, Glück ist nur eine davon. Und auch beim Glück selbst gibt es qualitative Unterschiede, die sich nicht auf unterschiedliche Intensitäten reduzieren lassen. Sehen wir uns als Illustration die Unterschiede zwischen
Lust, Glück
und
Freude
an und merken nebenbei an, dass man noch andere, ebenso tief greifende Unterscheidungen treffen könnte.
Beginnen wir mit Lust. Ökonomen in der Tradition von Bentham sind schnell bei der Hand, Glück mit Lust gleichzusetzen, denn sie hoffen, auf diese Weise die Unklarheiten auszublenden. Lust – so ihr Gedankengang – ist eine besondere Art zu fühlen, die nur in der Quantität variiert. Wenn Glück also Lust ist, kann man es ebenfalls quantifizieren. Aber Lust ist, wie Aristoteles vor langer Zeit gezeigt hat, kein bestimmtes Gefühl. Er schlug vor, sich zwei Freunde vorzustellen, die in ein Gespräch vertieft sind und im Hintergrund eine Flöte hören. Wäre Lust ein bestimmtes Gefühl, könnten wir erwarten, dass sich die Lust an der Musikzu der Lust am Gespräch addiert wie die Hitze von zwei Feuern. Aber so
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