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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Sidgwicks klassische, an Bentham orientierte Definition zu wiederholen: Glück ist »das größte erreichbare Übermaß von Lust über Unlust; dabei sollen die beiden Ausdrücke alle Arten von angenehmen und unangenehmen Empfindungen umfassen«.[ 25 ] Glück ist mit anderen Worten eine subjektiv angenehme geistige Verfassung, nicht ein objektiv wünschbarer Seinszustand. Andere Glücksforscher sagen es weniger direkt, aber wir müssen annehmen, dass sie Glück ebenfalls als etwas Psychisches verstehen, sonst wäre es ein Rätsel, warum sie sich auf Selbstauskünfte verlassen. Solon musste Tellos nicht fragen, um zu wissen, dass er der glücklichste Mensch war.
    Sidgwicks psychologisches Verständnis von Glück ist zum Standard in der modernen westlichen Welt geworden. Vielen erscheint es als grundlegender gesunder Menschenverstand. Doch bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass unsere Vorstellung, was es bedeutet, glücklich zu sein, noch viele Relikte der älteren Idee von
eudaimonia
oder »glückhaftem Schicksal« enthält. Oder zumindest vertreten wir diese Ansicht. Wir beharren nicht darauf, sehr wohl aber darauf, dass Glück, psychologisch verstanden, nicht das höchste Gut sein kann. Wir können nicht glauben, dass Zweck all unseres Leids und unserer Mühen nur ein freudiges Kribbeln oder ein Schauer sein soll. Damit steckt unsere Argumentation in einem Dilemma.
Entweder
begreifen wir Glück im vormodernen Sinn als einen Seinszustand, und in dem Fall lässt es sich nicht durch Befragungen messen.
Oder
wir begreifen es im modernen Sinn als eine geistige Verfassung, und dann kann es nicht das höchste Gut sein. In beiden Fällen ist die ökonomische Glücksforschung zum Scheitern verurteilt.
    Das Verständnis von Glück, das der modernen Glücksforschung zugrunde liegt, hat zwei Hauptbestandteile. Beide sind fragwürdig insofern, als es sich nicht damit deckt, was wir wirklich über Glück denken, und das steht wiederum im Gegensatz zu dem, was wir im ersten Augenblick zu denken
glauben.
Schauen wir uns eines nach dem anderen an.
    Glück summiert sich.
Mit anderen Worten: Das Glück eines ganzenLebens ist die Summe (oder vielleicht der Durchschnitt; das führt dann zu anderen Konsequenzen) der einzelnen glücklichen Augenblicke. Dies ist der Gegensatz zu einer »holistischen« Sicht, wie man sagen könnte, die das Glück eines Lebens als nicht reduzierbar auf das Glück in einzelnen Augenblicken betrachtet. Forscher haben unterschiedliche Auffassungen, wie man aggregiertes Glück am besten misst. Der Psychologe Daniel Kahneman hat im Sinn von Edgeworth argumentiert, wir sollten versuchen, das Glück in jedem Augenblick zu messen, und die Ergebnisse dann zusammenfügen.[ 26 ] Die meisten Forscher geben sich jedoch damit zufrieden, wie die Befragten ihr Glücksniveau insgesamt einschätzen. Aber das sind nur methodische Unterschiede. Alle Glücksforscher müssen darin übereinstimmen, dass Glück sich ansammelt und seiner Natur nach nicht holistisch ist, sonst müssten wir Solons Aufforderung folgen und dürften einen Menschen nicht glücklich nennen, bevor er tot ist.
    Die Auffassung, dass Glück sich summiert, erhält einige Unterstützung aus dem kulturellen Umfeld. Das moderne Englisch erlaubt uns (im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen), zu sagen, wir seien ein paar Stunden oder sogar nur Minuten lang glücklich; so können wir uns ein glückliches Leben als eine Abfolge von glücklichen Augenblicken vorstellen. Aber glauben wir wirklich daran? Vergleichen wir das Leben eines Menschen, der frühes Leid überwindet und große Dinge erreicht, mit dem Leben eines anderen, der eine glanzvolle Jugend hatte und später alles verliert. Wir würden natürlich den ersten als glücklich bezeichnen und den zweiten als unglücklich. Trotzdem kann es sein, dass die beiden Leben die gleiche Anzahl von Glücksmomenten enthalten. Warum kommen wir dennoch zu unterschiedlichen Urteilen? Die Antwort lautet natürlich, dass wir finden, das Leid am Anfang des Lebens werde durch den späteren Erfolg wettgemacht. Rückblickend erscheint das Leid am Anfang als Test oder Lehrzeit, als Teil einer größeren Erfolgsgeschichte. Hingegen gibt es für Leid am Ende des Lebens keinen Ausgleich – es sei denn, wir blicken über diese Welt hinaus. Das ist die tiefe Wahrheit von Solons Worten: Erst mit dem Tod wird die umfassendeGestalt oder Bedeutung eines Lebens erkennbar. Ein Leben vor dem Tod glücklich oder unglücklich zu nennen, ist

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