Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
ist es nicht. Die Musik reißt die beiden Freunde aus dem Gespräch heraus, sie können nicht beides gleichzeitig genießen.[ 32 ] Manche Leser erinnern sich vielleicht noch an eine Werbekampagne von Häagen-Dasz vor ein paar Jahren: Darin beschmierte sich ein nacktes Liebespaar begeistert mit Eiskrem. Wir haben es nicht ausprobiert, aber wir vermuten, dass sich dabei Aristoteles’ These bestätigen würde: Die Lust am Sex würde von der Lust an der Eiskrem ablenken und umgekehrt. Kurzum, Lust ist nicht ein bestimmtes Gefühl, das auf diese Weise erzeugt wird; Lust ist auf ihr Objekt
gerichtet.
Glück auf Lust zu reduzieren mit dem Ziel, es als eindimensional zu entlarven, bedeutet, die Dinge von Anfang an falsch anzupacken.
Glück ist jedenfalls nicht Lust. Die logische Grammatik der beiden Konzepte ist eine ganz andere. Lust kann oft (aber nicht immer) im Körper verortet werden; denken Sie an Sprudelbäder für die Füße, Kopfmassagen und so weiter. Glück hingegen hat keinen körperlichen Ort. Wir sind nicht glücklich in unserem großen Zeh oder an einer anderen Stelle. Lust dauert eine bestimmte Zeit, sagen wir von zwölf bis eins. Glück kann im modernen Englisch zwar manchmal auch auf eine präzise Zeitspanne festgelegt werden, aber die Grenzen sind nicht so präzise (»heute Morgen bin ich glücklich aufgewacht, aber das ist schnell verflogen«). Außerdem gibt es, wie wir gesehen haben, auch eine Form von Glück, die keine zeitliche Dimension hat. Wenn wir sagen, John habe ein glückliches Leben geführt, dann meinen wir nicht, dass er zu bestimmten Zeiten oder in einem bestimmten Teil seines Lebens glücklich war. Lust ist niemals auf diese Weise zeitlos. Ein »Leben voller Lust« ist einfach ein Leben mit vielen lustvollen Episoden. Lust setzt
einzelne Punkte
im Leben, sie charakterisiert nicht das Leben insgesamt.
Die Gegensätze zwischen Glück und Lust wurzeln in einem tieferen, phänomenologischen Unterschied der beiden Zustände. Glück ist nicht nur ein inneres Gefühl, sondern eine Haltung, eine Einstellung zur Realität. Es ist das freudige Begreifen, dass etwas so und so ist: dass meine Tochter auf die Universität geht, dass mein Land befreit wurde. Es gibtein paar Ausnahmen von dieser Regel. Babys und Tiere können glücklich sein, ohne über etwas Bestimmtes glücklich zu sein; auch Erwachsene fühlen sich manchmal »grundlos« glücklich. Aber selbst in diesen Fällen manifestiert sich das Glück typischerweise als ein bestimmtes Verhalten gegenüber der Welt. Das glückliche Tier fühlt sich wohl in seiner Umgebung, das glückliche Baby ist offen und kontaktfreudig, der glückliche Mensch betrachtet die Welt als schön, voll von Hoffnung und immer Neuem. »Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen«, sagte Wittgenstein.[ 33 ] Die Droge Ecstasy erzeugt eine Wirkung, die das Antlitz der Welt in dieser Weise verändert, sie vor über gehend zu einem freundlicheren, schöneren Ort macht. Deshalb sind die Nachwirkungen so deprimierend. Man fühlt sich nicht nur physisch elend, sondern man realisiert, dass die eigenen Gefühle getäuscht wurden.
Lust hat Objekte, wie schon Aristoteles bemerkte, aber die unterscheiden sich von den Objekten des Glücks dadurch, dass sie primär mit Erfahrungen zu tun haben. Man kann nicht Lust an Dingen haben, die erst nach dem eigenen Tod oder auf der anderen Seite der Welt passieren werden, aber man kann Lust bei dem Gedanken daran finden. Anders als Glück ist Lust nicht entscheidend mit Überzeugungen verknüpft; Lust kann sich aus Fantasien und Illusionen ergeben. (Eine virtuelle Frau kann einem Mann vielleicht Lust bereiten, aber nur eine reale oder zumindest eine für real gehaltene kann ihn glücklich machen.) Und selbst wenn die Lust aus realen Gegebenheiten erwächst, zieht sie sie fast unmerklich in die Sphäre des Erlebens. Vergleichen Sie einmal den Satz »Ich bin glücklich, dass Arsenal an der Spitze der Tabelle steht« mit »Es bereitet mir Lust, dass Arsenal an der Spitze der Tabelle steht«. Der erste Satz deutet auf einen Zustand zufriedener Bewusstheit, der zweite klingt nach atemlosem Verschlingen von Zeitungen, Fernsehbildern und so weiter. Das erklärt, warum Lust einen so zweifelhaften Ruf besitzt. »Für die Lust« zu leben impliziert eine gezielte Kultivierung der Erfahrung, die Einstellung eines Gourmands gegenüber der Welt. Und das gilt, unabhängig davon, ob es sich bei den fraglichen Vergnügungen um
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