Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
langhaariger Dichter«. Er absolviert eine erfolgreiche Karriere beim Militär, jagt Großwild und verbreitet generell gute Laune. Ist Candy nun glücklich? Wenn wir »Überschäumen« als Kriterium nehmen, ist er es wohl. Am Hedonimeter würde er sicher gut abschneiden. Dass wir denken, er könnte trotzdem nicht glücklich sein oder zumindest nicht zutiefst glücklich, hat mit unserer Überzeugung zu tun, dass Liebe im Gegensatz zur Großwildjagd einen zentralen Platz unter den Zielen einnimmt, die Menschen im Leben haben. Aber möglicherweise teilt Candy selbst diese Überzeugung nicht. Wieder sehen wir uns gedrängt, nach einem stärker objektiven Verständnis von Glück zu suchen.
Wir haben zu zeigen versucht, dass ein glückliches Leben, so wie die meisten von uns diese Wendung verstehen, nicht nur eine Abfolge angenehmer Bewusstseinszustände ist, sondern ein Leben, das bestimmte grundlegende menschliche Dinge beinhaltet.
Eudaimonia
lauert unter der Oberfläche des modernen, psychologischen Verständnisses von Glück; es geht nicht nur darum, »durch die Hintertür die Vorstellung eines bestimmten Philosophen von einem erstrebenswerten Leben einzuschmuggeln«, wie Samuel Brittan und andere behauptet haben.[ 36 ] Denen, die davon nicht überzeugt sind (und das dürften viele sein), präsentieren wir einen zweiten Aspekt unseres Dilemmas: Wenn Glück nur ein Bewusstseinszustand ist, wie kann es dann zugleich das höchste Gut sein, das endgültige Objekt all unseres Strebens? Jahre an einem Kunstwerk zu arbeiten oder ein Kind aufzuziehen, um dann nur die daraus resultierende mentale Begeisterung zu spüren, verrät eine sehr spezielle Einstellung zum Leben. Aber genau diese Einstellung liegt dem gegenwärtigen Kult um das Glück zugrunde.
Das Problem lässt sich noch ein bisschen präziser formulieren. Ökonomische Glücksforscher glauben, dass Bewusstseinszustände in dem Maß gut sind, wie sie glücklich sind. Je glücklicher, desto besser, je unglücklicher,desto schlimmer. Die Objekte oder Anlässe von Glück und Traurigkeit haben keine moralische Bedeutung. »Kein gutes Gefühl ist an sich verwerflich«, schreibt Layard, »das wird es erst durch seine Auswirkungen.«[ 37 ] Andere Glücksforscher sagen es nicht so direkt, aber sie müssen ähnliche Gedanken hegen, wenn ihr Projekt moralisch einen Sinn ergeben soll. Wenn Glück nicht an sich gut ist, warum um alles in der Welt wollen wir es dann unbedingt maximieren?[ ** ]
Das schlichte Faktum lautet, dass Glück, psychologisch verstanden, nicht an sich gut ist, sondern insofern es
passend
ist oder zumindest nicht unpassend. Glücklich zu sein wegen x, wenn x Glück nicht verdient oder nicht erreicht, ist nicht unbedingt eine gute Sache. Stellen Sie sich vor, jemand lächele breit bei der Nachricht von einer Katastrophe, bei der Hunderte Menschen gestorben sind. »Worüber bist du so glücklich?«, fragen wir vielleicht. Oder denken Sie an den Studenten, der dank einer doppelten Dosis Beruhigungsmittel seinem drohenden Scheitern gelassen entgegensieht – im Wolkenkuckucksheim, wie wir sagen. Wir denken wahrscheinlich, dass es für diesen Studenten besser wäre,
nicht
glücklich zu sein, das würde wenigstens zu seiner realen Situation passen. (Ein aristotelischer Denker könnte das gleiche Beispiel vortragen und sagen, der Student sei überhaupt nicht glücklich, aber ökonomische Glücksforscher haben diese Möglichkeit nicht.) Unverdientes Glück ist nicht immer schlecht; wir wollen einem Kind seine schiere Lebensfreude nicht nehmen und dem Sterbenden nicht seine Illusionen. Aber der Wert eines glücklichen Bewusstseinszustands hängt zumindest teilweise davon ab, dass das Objekt des Glücks einen Wert hat. Und wenn wir das als gegeben voraussetzen, dann bekommt das Projekt, das Glück an sich zu maximieren, also unabhängig von seinen Objekten, eine unheilvolle Seite.
Genau wie unpassende Glückszustände gibt es auch unpassende Traurigkeit. Traurigkeit ist zwar oft unverdient, wenn sie aus falschen Überzeugungen oder irrationalen Denkweisen herrührt, aber in anderen Fällen ist es auch die hellsichtige Wahrnehmung von Dingen, die zu Recht traurig machen. Solange es solche Dinge gibt – und es wird sie sicher immer geben –, kann Traurigkeit nur überwunden werden, a) indem wir die Dinge ausblenden oder b) indem wir unsere Wahrnehmung so verändern, dass sie uns nicht mehr stören. Es lässt sich leicht vorstellen, wie das gehen kann.
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