Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
glücklich zu sein, sondern Grund zum Glücklichsein zu haben. Wir haben Grund, glücklich zu sein, wenn wir die guten Dinge des Lebens besitzen: Gesundheit, Respekt, Freundschaft, Muße. Ohne diese Dinge glücklich zu sein, bedeutet, einem Trugbild zu erliegen: dem Trugbild, dass das Leben in Ordnung ist, während es das tatsächlich nicht ist. Marxisten bezeichnen ein solches Trugbild als Ideologie; es dient dazu, Unterdrückung und Erniedrigung zu kaschieren. Das Paradies und der Schnaps waren die traditionellen Mittel, die Geschundenen mit ihrem Los zu versöhnen. Dass die Regierung Cameron so viel Wert auf »Glück« legt, lässt vermuten, dass es bald eine ähnliche Rolle spielen könnte.
Natürlich haben die meisten ökonomischen Glücksforscher keine derartige Agenda. Sie wollen nur, wie wir auch, die Politik weg vom blinden Wohlstandsstreben hin zu einer Verbesserung der wirklichen Lebensbedingungen lenken. Aber sie benutzen eine Sprache, die – »objektiv«, wie die Marxisten sagen – in eine ganz andere Richtung deutet. Denn wenn Glück nur ein privates Gefühl ist ohne innere Verbindung zu einem guten Leben, könnte sich zeigen, dass Soma oder Hirnstimulierung tatsächlich die billigste, effektivste Methode ist, Glück zu erreichen. Warum geben wir nicht direkt zu, dass es uns um ein gutes Leben geht – und warten, dass sich Glück von selbst einstellt?
* Das Sprachempfinden ist hier offenbar unterschiedlich: Manche chinesische Muttersprachler lassen die Prostituierte und den alternden Playboy
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sein, andere nicht. Vielleicht sind das Unterschiede zwischen Regionen oder zwischen Generationen. Aber solange eine signifikante Zahl von Chinesen
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nur im objektiven Sinn verwendet, können wir keine Äquivalenz zu »happy« unterstellen.
** Um der Gerechtigkeit willen sollte hinzugefügt werden, dass die meisten Glücksforscher das Glück nicht um jeden Preis maximieren wollen, zum Beispiel durch eine Gehirnoperation. Sie sind, um im Jargon zu bleiben, »begrenzte Maximierer«: Sie wollen das Glück im Rahmen der Grundrechte und Gesetze maximieren. Wie die Beschränkungen sich angesichts ihrer eigenen utilitaristischen Grundsätze rechtfertigen lassen, wird im Allgemeinen nicht erforscht.
5 NATÜRLICHE ODER MORALISCHE GRENZEN DES WACHSTUMS?
Zweifellos hat die Natur gute Absichten, aber, wie Aristoteles einmal sagte, sie kann sie nicht ausführen.
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Nicht genug damit, dass das Wirtschaftswachstum das Los der Menschheit nicht verbessert hat, so der Vorwurf, darüber hinaus habe es die Unschuld der Natur zerstört. Der zweite Vorwurf ist beinahe ebenso alt wie der erste. Wordsworth kritisierte 1814, durch die industrielle Produktion habe man »der Natur Gewalt angetan«. Andere nach ihm beklagten die Zerstörung von Wäldern und Wildnis, die Ausrottung von Pflanzen und Tieren, die Vergiftung von Flüssen, Seen und Ozeanen. Aber in den letzten 20 Jahren beschäftigt ein anderes Schreckensszenario die kollektive Fantasie: das Szenario einer katastrophalen, unumkehrbaren Erderwärmung. Um das Desaster abzuwenden, sollen wir uns vom Wirtschaftswachstum verabschieden, vielleicht sogar von der Zivilisation, wie wir sie kennen.
Umweltschützer, die Wachstum ablehnen, sagen gern, ihre Bewegung sei die rationale Antwort auf die Fakten. Doch insgeheim durchweht die Bewegung der Geist der Romantik. Für den leidenschaftslosen Betrachter ist es nicht offensichtlich, dass der Klimawandel unsere Abkehr vom Wachstum verlangt. Er könnte vielmehr verlangen, dass wir
weiter
nach Wachstum streben
,
damit wir die erforderlichen Technologien finanzieren können, um die Folgen der Erwärmung zu lindern. Fakten allein können in diesem Streit nicht entscheiden, denn hier prallen Weltsichten aufeinander: prometheischer Optimismus auf der einen Seite, Ehrfurcht vor der Natur auf der anderen Seite. Aber die utilitaristische Ausrichtung unserer öffentlichen Debattezwingt uns, stattdessen von Emissionsrechten und dem Handel damit zu sprechen.
Den verdeckt religiösen Charakter der grünen Bewegung betrachten Freunde wie Feinde oft als peinlich, sogar als Skandal. In unserer Kultur ist die Wissenschaft die höchste Instanz, die über Richtig und Falsch entscheidet; alles andere ist Geschwätz. Das ist nicht unsere Sichtweise. Wir respektieren und teilen das religiöse Gefühl, das im Mittelpunkt der Umweltbewegung steht. Aber wir glauben, dass dieses Gefühl
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