Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
am besten direkt ausgedrückt und nicht unter dem Feigenblatt der Wissenschaft versteckt werden sollte. Verschleierung ist nicht nur unehrlich, sie macht auch vom Zufall abhängig. Denn wenn sich herausstellen sollte, dass das Wachstum doch nachhaltig ist, was sein könnte, werden all jene, die gegen Wachstum waren, weil sie es für
nicht
nachhaltig hielten, nichts mehr zu sagen haben. Sie werden in der gleichen Position sein wie die frühen Christen, deren Glauben auf der baldigen Wiederkunft Christi gründete.
Umweltschützer erinnern sich vielleicht noch an etwas anderes. Prophezeiungen, dass Seuchen und Unwetter kommen werden, sind ein altbekannter, aber ungeliebter Weg, zum Verzicht aufzufordern. Es ist freundlicher (und wahrscheinlich effizienter), den Menschen zu zeigen, dass ein weniger überladenes Leben ein gutes, erstrebenswertes Leben ist. Der Kunsthistoriker Kenneth Clark hat über das deutsche Rokoko mit seinen hinreißenden Bögen und Verzierungen gesagt, dieser Stil wolle »nicht durch Angst, sondern durch Freude« überzeugen. Extremisten haben immer Ängste ausgenutzt, um ihre Ziele zu erreichen. Wir wollen durch Freude überzeugen – die Vision eines guten Lebens vorstellen, bei dem nicht Schuldgefühle und Angst vor Vergeltung die Triebkräfte sind, sondern Glück und Hoffnung.
G RENZEN DES W ACHSTUMS
Keynes ging davon aus, dass das Wachstum an ein endgültiges
Ende
gelangen würde, einen Punkt, an dem alle materiellen Begierden ein für allemal befriedigt wären. Andere, pessimistischere Denker postulierteneine
Grenze
des Wachstums, ein äußeres Hindernis für weiteren Fortschritt. Thomas Malthus’ Abhandlung
Das Bevölkerungsgesetz
, die wir in Kapitel 2 erwähnt haben, ist die erste klassische Darlegung dieser Sicht. Malthus’ Argumentation ist bestechend einfach. Er geht von zwei Gewissheiten aus: der Endlichkeit der Erde und einer gewissen »Leidenschaft zwischen den Geschlechtern«. Die Fähigkeit der Erde, Nahrungsmittel hervorzubringen, ist naturgemäß begrenzt. Man kann immer mehr Felder anlegen, aber früher oder später ist eine Kapazitätsgrenze erreicht. Die Fortpflanzungsrate der menschlichen Rasse hingegen ist grenzenlos. Wenn jede Generation doppelt so viele Mitglieder hat wie die vorige – und zu Malthus’ Zeit waren vier und mehr Kinder die Regel –, wird die Welt bald dicht bevölkert sein. Das Dilemma ist unausweichlich. Wie Malthus formuliert: »Die Kraft zur Bevölkerungsvermehrung ist um so vieles stärker als die der Erde innewohnende Kraft, Unterhaltsmittel für den Menschen zu erzeugen, dass ein frühzeitiger Tod in der einen oder anderen Gestalt das Menschengeschlecht heimsuchen muss.«[ 1 ]
Die meisten (allerdings nicht alle) europäischen Länder entgingen im 19. Jahrhundert Malthus’ Schreckgespenst durch eine Kombination von gesteigerter landwirtschaftlicher Produktion, sinkenden Geburtenraten und massenhafter Auswanderung in die Neue Welt. Trotzdem wurde es seither noch oft beschworen. Die Autoren des Bestsellers aus dem Jahr 1972
Die Grenzen des Wachstums
sagten voraus, Ende des 20. Jahrhunderts werde die Weltbevölkerung die Marke von sieben Milliarden er reichen, und das werde zu Engpässen bei Getreide, Öl, Gas, Kupfer, Aluminium und Gold führen.[ 2 ] Solche Voraussagen erwiesen sich als Panikmache. Vor allem die »grüne Revolution« in der Landwirtschaft, durch die eine erhebliche Steigerung der Hektarerträge an Getreide möglich wurde, wendete die Gefahr großer Hungersnöte ab, obwohl die Weltbevölkerung die prophezeite Zahl von sieben Milliarden inzwischen erreicht hat. Auch die anderen Mangelszenarien sind nicht eingetreten.[ 3 ] Die »Bevölkerungsbombe«, um den Titel eines einflussreichen Werks aus den 1960er-Jahren zu zitieren, hat sich als Rohrkrepierer erwiesen.[ 4 ]
Für Ökonomen ist diese Entwicklung nicht überraschend. Sie kennen seit Langem den grundlegenden Fehler in Malthus’ Argumentation: Er übersieht die kombinierte Wirkung von Preisen und technischer Innovation. Wenn bei einem Rohstoff die Reserven schwinden, steigt sein Preis, und damit wird ein Anreiz geschaffen, a) neue Reserven zu suchen, b) vorhandene Reserven effizienter auszubeuten und c) Alternativen zu erforschen. Zum Beispiel hat der Anstieg des Ölpreises einerseits die Erschließung neuer Ölfelder in Alaska und im Golf von Mexiko gefördert und andererseits die Investition in Wind- und Sonnenenergie und andere Formen der Stromerzeugung. Wenn wir es mit
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