Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Eichhörnchens geht auf Kosten des roten Eichhörnchens. Das Wohlergehen der Zecke geht auf Kosten des Hundes. Was ist gemeint, wenn vom »Wohlergehen des nichtmenschlichen Lebens« insgesamt die Rede ist?
Vielleicht bedeutet, das Gedeihen des nichtmenschlichen Lebens zu wollen, das Gedeihen aller nichtmenschlichen Spezies gleichermaßen zu fördern. Arne Næss, »tiefer Umweltschützer« der ersten Stunde, spricht vom »gleichen Recht zu leben und zu blühen«.[ 30 ] Aber damit tauchen viele weitere Probleme auf. Wer sind die Träger dieser »gleichen Rech te«? Sind alle Pflanzen, Pilze und Bakterien eingeschlossen? Erwirbt eine Lebensform diese Rechte, wenn sie als Spezies klassifiziert wird, und verliert sie sie, sobald sie neu als Unterart klassifiziert wird – was in der Biologie häufig vorkommt? Das klingt ziemlich hart. Impliziert das »gleiche Recht zu leben und zu blühen«, dass wir den gleichen Aufwand betreiben sollten, um den Schneeleoparden zu retten und
acanthomyops latipes,
eine von vielen hundert bedrohten Insektenarten? Wie steht es mit dem Pockenvirus,das heute nur noch in zwei Labors weltweit existiert? Natürlich müssen wir in dem Fall nur an unsere eigenen Interessen denken. Aber für »biosphärische Egalitaristen« wie Arne Næss verbirgt sich hinter der Favorisierung einer Spezies gegenüber anderen aus selbstsüchtigen, sentimentalen oder ästhetischen Gründen immer der Pferdefuß des »Anthropozentrismus«. Im Umgang mit der Natur müssen wir so vollkommen von unseren Interessen absehen wie ein Cato oder Brutus.
Ein nur etwas vernünftigerer Vorschlag ist in seiner Stoßrichtung utilitaristisch. Wenn unser Ziel darin besteht, die Lust zu maximieren und den Schmerz zu minimieren, müssen Lust und Schmerzen von Tieren genauso berücksichtigt werden. Sie zu missachten, ist Speziesismus – die willkürliche Bevorzugung unserer eigenen Spezies.[ 31 ] Aber ganz abgesehen von den allgemeinen Problemen des Utilitarismus, die wir zum Teil im letzten Kapitel angesprochen haben, stellt dieser Vorschlag unsere Sorge um die Natur falsch dar. Zunächst nennt er uns keine nichtinstrumentellen Gründe, warum wir uns um Pflanzen Gedanken machen sollten, die keine Lust und keinen Schmerz spüren. Außerdem ist das Leben vieler Tiere, vor allem wildlebender Pflanzenfresser, durch Krankheit, Hunger und Furcht gekennzeichnet. Mit einer konsequent utilitaristischen Einstellung müssten wir sie in großen Parks halten, geschützt vor Raubtieren, mit leichtem Zugang zu Futter und medizinischer Versorgung. Die Raubtiere könnte man unterdessen mit Fleisch von Tieren aus ethisch einwandfreier Haltung oder einem Ersatzfutter auf Sojabasis füttern. Diese Fantasie lässt sich beliebig ausschmücken. Der entscheidende Punkt ist, dass niemand, dem am Gedeihen unseres
natürlichen
Lebensraums liegt, so etwas befürworten kann.
Einen anderen Einwand gegen die Tiefenökologie bringt Aldo Leopold vor, ein früher Pionier der Umweltethik. »Etwas ist richtig«, schrieb Leopold, »wenn es dazu tendiert, die Integrität, Stabilität und Schönheit der biotischen Gemeinschaft zu schützen. Es ist falsch, wenn es zum Gegenteil tendiert.«[ 32 ] Hier ist die Bezugsgröße nicht die einzelne Art, sondern die
Gemeinschaft
aller Arten. Wir sind dazu aufgerufen, das Wohlergehen des Ganzen zu maximieren, selbst wenn das erfordert, einzelneTeile davon zu verletzen oder zu zerstören. James Lovelock steht in dieser holistischen Tradition. Er bezeichnet Gaia als krank, fiebernd, altersschwach und so weiter und drängt uns, zu tun, was wir können, um ihre Gesundheit wiederherzustellen. Es hat sogar den Anschein, als würde ihm der Gedanke makabres Vergnügen bereiten, Gaia könnte von unserer Zerstörung profitieren wie von der Ausrottung einer Krebsart oder eines Virus.
Solche Reden sind moralisch gefährlich, wie wir bereits ausgeführt haben. Sie sind außerdem konfus. Die biotische Gemeinschaft oder Gaia ist weder ein Organismus noch einem Organismus ähnlich. Sie kann nicht gesund oder krank sein, gedeihen oder dahinsiechen. Organismen gehören zu Arten
,
deren Funktions- und Lebensweise ihre Normen für Krankheit und Gesundheit definiert.[ 33 ] Ein Kamel mit nur einem Höcker ist ein unvollkommenes Kamel, außer natürlich, es ist ein Dromedar. Gaia hingegen ist
sui generis.
Es gibt nicht mehrere »Gaias«. Deshalb ist es irreführend, wenn gesagt wird, und sei es nur als Metapher, Gaia sei krank oder habe Fieber. (Was
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