Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
sich »an dem Eindringling«.[ 27 ] Solche Rhetorik ist nicht nur schlechte Wissenschaft, sie ist auch, und das ist viel wichtiger, schlechte Religion. So, wie sich die neuen Gläubigen die Natur vorstellen, achtet sie nur auf ihr eigenes »Gleichgewicht«, nicht auf das Wohl des Menschen. Sie hat Gottes Zorn geerbt, aber nicht seine Gnade. Gaia ist ein Rückschritt, keine Weiterentwicklung, des religiösen Bewusstseins.
Die kurze Geschichte bestätigt den Schluss, zu dem wir bereits früher gelangt sind: Gefühl, nicht Wissenschaft, hat die Umweltbewegung angetrieben und treibt sie noch immer an. Warum wollen die modernen Grünen das nicht zugeben? Zum Teil, weil sie meinen, das könnte die Glaubwürdigkeit ihrer rein »positiven« Argumente untergraben, zum Teil auch, weil sie fürchten, wenn sie ihre Motive offen aussprechen, könnte viel Unappetitliches zum Vorschein kommen. Damit könnten sie recht haben. Aber leider ist es so, dass die Umweltbewegung bei allem Dummen und Hässlichem den Kern eines wunderbaren Ideals in sich trägt, und das anzuerkennen würde sie nicht schwächen, sondern sehr
stärken.
Diesem Ideal wenden wir uns nun zu.
H ARMONIE MIT DER N ATUR
Die moderne ökologische Ethik zerfällt in zwei große Richtungen, die wir als »seicht« und »tief« bezeichnet haben. Die Anhänger der ersten Richtung sehen die Natur als eine Ressource für die Menschheit, die man mit Blick auf die Interessen künftiger Generationen verwalten muss. Die zweite Gruppe betrachtet die Natur als Wert an sich, unabhängig von ihrem Nutzen für uns. Weder der eine noch der andere Standpunkt erfasst richtig, worum es uns bei unserer Sorge um die Natur geht. Zu einer adäquateren Formulierung können wir gelangen, wenn wir die Mängel beider Standpunkte analysieren.
Der »seichte« Flügel der grünen Bewegung, wie er in dem Stern Review und vielen nachfolgenden Publikationen zum Ausdruck kommt, verlängert die standardmäßigen Kosten-Nutzen-Analysen einfach über den üblichen Zeitrahmen hinaus. Sein Grundprinzip ist das vertraute egalitäre Kalkül: Wir dürfen unser eigenes Wohlergehen nicht über das der noch Ungeborenen stellen, genau wie wir das Wohlergehen der Weißen nicht über das der Schwarzen, das der Männer nicht über das der Frauen stellen dürfen. Wir dürfen nicht »gegenwartsfixiert« sein.
Dieses Argument bringt uns ein Stück voran. Wir haben bereits gesagt, das Wohlergehen künftiger Generationen sollte uns
etwas
bedeuten, allerdings nicht so viel wie das Wohlergehen der Lebenden, und um der künftigen Generationen willen sollten wir uns bemühen, die Erde nicht als Wüste zu hinterlassen. Die Philosophin Mary Midgley fordert, wir sollten uns vorstellen, Robinson Crusoe hätte seine Insel in die Luft gejagt, zusammen mit allen pflanzlichen und tierischen Bewohnern, bevor er nach Hause zurücksegelte. Menschliche Interessen sind nicht betroffen, trotzdem sehen wir darin einen frevelhaften Akt.[ 28 ] Oder nehmen wir ein Beispiel aus dem realen Leben: Wir sind sehr besorgt über das Schicksal von Eisbär und Schneeleopard, obwohl weder der eine noch der andere einen Nutzen für uns besitzt. (Manche könnten sagen, die Freude an ihrer Existenz
sei
unser Nutzen, aber würde das zutreffen, könnten wir diesen Nutzen leicht auslöschen, indem wir uns einfachkeine Gedanken mehr um sie machen; damit würden wir uns von jeglicher Verpflichtung befreien, ihr Überleben sicherzustellen.) Es ist klar, dass wir die Existenz von Eisbär und Schneeleopard »um ihrer selbst willen« schätzen, unabhängig von einem etwaigen Vorteil, den wir vielleicht daraus ziehen. Dasselbe gilt für die große Mehrheit der gefährdeten Arten auf unserem Planeten.
Gedanken wie diese motivieren den anderen, »tiefen« Flügel der grünen Bewegung. Seine Anhänger halten die oben skizzierten »seichten« Argumente für eine reine Variante der anrüchigen Locke’schen Idee, dass die Erde nur zu unserem Nutzen existiert. Sie drängen uns, »das Gedeihen des nichtmenschlichen Lebens« als Zweck an sich anzusehen, unabhängig von langfristigen oder anderen Interessen, die wir womöglich haben.[ 29 ] Aber das wirft ein unlösbares Problem auf. Was bedeutet »das Gedeihen nichtmenschlichen Lebens«
wirklich?
Denn, geradeheraus gesagt, es gibt keine einzelne Einheit »nichtmenschliches Leben«, sondern nur eine Myriade nichtmenschlicher Organismen und Arten, die vielfach in Konkurrenz zueinander stehen. Die Ausbreitung des grauen
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