Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Beschäftigung mit der letzten Ordnung der Dinge) und »ästhetische Erfahrung« in seine Liste basaler Werte mit aufnehmen.[ 11 ] Nun können wir eine Kultur ohne Religion und ästhetische Erfahrung vielleicht als verarmt ansehen, aber wir können nicht sagen, dass es jemandem ernsthaft schadet, beides nicht zu haben. Viele Menschen haben einfach keinen Sinn für Kunst und Religion, führen aber ansonsten ein gutes, erfülltes Leben. Finnis’ Definition ergibt im Hinblick auf sein Vorhaben, die Grundprinzipien des Naturrechts zu bestimmen, absolut Sinn, aber unser Ziel, ein Kriterium zu erarbeiten, wann es genug ist, verlangt, nur die Güter als basal zu behandeln, deren Mangel einen ernsthaften Verlust oder Nachteil bedeutet. Denn nur bei solchen Gütern können wir zu dem Ergebnis kommen, dass ihr Besitz »genug« ist.
Welche Güter sind im Sinn dieses Kriteriums basal? Wir haben sieben identifiziert. Unsere Liste erhebt keinen Anspruch auf Endgültigkeit. Einige dieser guten Dinge überschneiden sich am Rand oder betreffen mehrere verwandte Anliegen; andere könnte man womöglich streichen. »Harmonie mit der Natur« wird oft – nach unserer Ansicht zu Unrecht – als eine spezifisch westliche Obsession betrachtet, Produkt der Romantik und der Umweltschutzbewegung. Und manche haben die Frage gestellt, ob »Gesundheit« und »Sicherheit« für sich allein genommen gute Dinge sind oder um anderer Dinge willen. Insofern ist hier einiges unklar und manches strittig. Aber das muss kein Einwand sein. Bei Themen, die von Natur aus unscharf sind, ist ehrliche Unbestimmtheit besser als vorgespiegelte Präzision.[ * ]
Gesundheit.
Unter Gesundheit verstehen wir die vollständige Funktionsfähigkeit des Körpers, die Perfektion unserer tierischen Natur. Zur Gesundheit gehört alles, was nötig ist, um das Leben über eine vernünftige Dauer zu erhalten, aber sie beschränkt sich nicht darauf. Zur Gesundheit zählen auch Vitalität, Energie, Wachheit und die rotwangige Schönheit, die Tolstoi und andere Moralisten über dekadentere Ideale stellten. Gesundheit wird im Allgemeinen mit der Abwesenheit körperlicher Schmerzen assoziiert, aber ihr Wert ist nicht rein utilitaristisch, denn jemand, der auf angenehme Weise krank ist (weil er zum Beispiel an einem Morphiumtropf hängt), ist trotzdem schlechter dran als ein Gesunder. Vor allem anderen bedeutet Gesundheit, auf glückliche Weise nicht über den eigenen Körper nachzudenken, weil er ein Werkzeug ist, das seine Aufgaben perfekt erfüllt. Oder wie es der französische Arzt René Leriche ausgerückt hat, Gesundheit ist »das Leben im Schweigen der Organe«.[ 12 ] Gesundheit macht offen für die Welt. Krankheit wirft den Kranken auf sich selbst zurück.
Viele Philosophen stellen die Gesundheit auf eine tiefere Stufe als andere gute Dinge, weil sie zu unserer tierischen Natur gehöre und nicht zu unserer spezifisch menschlichen. Die äußeren Güter, schrieb Aristoteles und gab damit den Ton vor, »sind […] der Seele wegen wählenswert, und alle Vernünftigen sollten sie darum wählen, nicht aber um jener Dinge willen die Seele«.[ 13 ] Wenn das stimmt, dann ist Gesundheit nicht in unserem Sinn final und hat darum keinen Platz auf einer Liste menschlicher Basisgüter. Aber warum sollten wir der Gesundheit den Status eines Endzwecks absprechen, nur weil Tiere sie auch besitzen können? Ist das nicht nur ein intellektuelles Vorurteil? Wenn wir die Vitalität eines jungen Mannes bewundern, muss sich nicht gleich der Gedanke anschließen, dass ihm das helfen wird, zur Arbeit zu kommen, seinem Land zu dienen oder was auch immer. Wir können die Vitalität um ihrer selbst willen bewundern, genau wie wir einen springenden Delfin bewundern oder ein Leopardenjunges.
Heute ist Gesundheit das einzige Gut, das liberale Staaten positiv zu bewerten wagen, denn anders als die Dinge, die für die Seele gut sind, ist sie mit der Autorität der Wissenschaft ausgestattet. Aber macht das wirklich einen Unterschied aus? Die Wissenschaft kann uns sagen, ob Wirkstoff x bei Zustand y hilft, aber nicht in jedem Fall, dass Zustand y eine Krankheit darstellt. Letzteres setzt ein
vor-
wissenschaftliches, selbstverständliches Wissen voraus, was Menschen guttut. Wir alle erkennen ein gesundes Baby, wenn wir eines sehen, genau wie wir Blindheit und Lahmheit als Behinderungen erkennen. Andere Fälle sind weniger eindeutig. Wie dick muss jemand sein, damit er als übergewichtig gilt? In wie guter
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