Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
meiner praktischen Arbeit, bei dem ich schablonenhaft dieselbe Vorgehensweise verwendet hätte wie in einem anderen »Fall«. Mein Verhalten ergibt sich stets aus der jeweiligen Situation, und ich gehe so vor, dass ich mich nach dem richte, was das jeweilige Wesen zeigt und braucht. Dasselbe kann auch jeder Hundehalter tun: hinsehen und spüren.
Dazu gehört vorab die Bereitschaft, das eigene Repertoire zu erweitern und von der Idee Abstand zu nehmen, es sei der Hund, der sich verändern müsse. Ein Hund wird immer ein Hund bleiben, egal welches Kunststück er gerade ausführt.
Es ist an der Zeit, von unserem hohen Ross zu steigen, auf das wir uns in der Annahme geschwungen haben, wir wären (anderen) Tieren deshalb überlegen, weil wir denken können, und wir dürften sie aus diesem Grunde auch herumkommandieren, durch Bestechung überlisten oder ihre Natur außer Acht lassen. Von diesem hohen Ross aus ist es schwierig bis unmöglich, ein Tier zu lenken, das sich auf vier Pfoten, mit einem hervorragenden Instinkt und Sinnen, die den unseren haushoch überlegen sind, auf dem Boden bewegt.
Ein Hund, der sich dem Druck und/oder der Bestechung erfolgreich verweigert, kann für einen Menschen eine große Chance sein. Durch ihn kann sich der Mensch etwas Kostbares zurückerobern: den eigenen Instinkt.
Solange wir weiter fast ausschließlich darüber nachdenken, wie man mit Hunden umgehen sollte, werden wir uns immer weiter in einem Kreis aus Methoden und Techniken bewegen, die nicht im richtigen Maß angewandt werden können, weil ihr wichtigster Bestandteil fehlt: der Instinkt für das Wesen, auf das diese Methoden angewandt werden sollen.
Viele Menschen, denen ich bei der gemeinsamen Arbeit mit ihrem Hund sehr einfache Dinge gezeigt habe, äußerten sich im Nachhinein häufig in dieser Art: »Ganz am Anfang, als ich den Hund bekam, habe ich auch so gefühlt, aber ich wurde davon verunsichert, dass die allgemein empfohlenen Methoden ganz anders sind. Später war ich noch verwirrter, weil die Methoden sich zum Teil völlig widersprachen, und ich nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war.«
Interessanterweise haben Menschen, denen die Zeit fehlt, sich um Methoden zu kümmern, weil sie – wie zum Beispiel »meine« russischen Bauern in Lipowka und viele andere Bauern weltweit – vollauf damit beschäftigt sind, ihr Überleben zu sichern, nur sehr selten Probleme mit ihren Hunden. (Ich meine damit nicht die Hunde, die an der Kette oder im Zwinger leben müssen, sondern Hunde, die am bäuerlichen Leben teilhaben.) Ich habe viele Bauern und auch Schäfer erlebt, die rein instinktiv mit ihrem Hund umgehen und genau die Beziehung zu ihm haben, die andere Menschen mühevoll und über einen Zeitraum von vielen Jahren hinweg anstreben und nicht immer erreichen.
Wie aber findet man zurück zu seinem eigenen Instinkt, wenn man mitunter gar nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, instinktiv zu sein?
Man könnte damit beginnen, für sich selbst neue Wertigkeiten zu schaffen. Erst wenn Sie Ihren Verstand nicht mehr als den Herrscher der Welt betrachten, sondern nur als ein Instrument, die Welt zu erkennen und mit ihr umzugehen, können Sie auch wieder Ihre Instinkte entdecken und ihnen nachspüren.
Der andere, vielleicht noch wichtigere Aspekt ist, dass wir zwar häufig unser instinktives Wissen spüren, ihm aber misstrauen und es sofort mit unserem Verstand auf seine Berechtigung hin überprüfen. Genauso wie wir ohne Nachzudenken davon ausgehen, dass die Anziehungskräfte eines Magneten diesen am Kühlschrank haften lassen (obwohl wir sein Magnetfeld weder sehen, noch unter dem Mikroskop nachweisen könnten), dürfen wir auch unseren nicht nachweisbaren Instinkten vertrauen. Sie sind einfach da, und sie sichern unser Überleben. Kein Tier sucht für seine Instinkte irgendeine Erklärung oder Berechtigung. Nur wir menschlichen Tiere.
Die Kraft der Energie
Zu meinen Lesungen können immer drei bis vier Hunde mitgebracht werden, die sich in dieser Situation auch wohlfühlen. Ich zeige mit ihnen im Anschluss in einer Hunde-Liveshow, wie man genauso spontan mit einem Hund kommunizieren kann wie mit einem Verkäufer in einem Laden. Mir ist dabei besonders wichtig, dass ich die Hunde vorher noch nicht kennengelernt habe, damit völlig ausgeschlossen werden kann, dass ich mit ihnen etwas eingeübt habe. Das »Wunder«, das Kommunikation auch artübergreifend stattfinden kann, würde sonst nicht fühlbar werden. Während
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