Wie wir gut zusammen leben
Anerkennung kein Selbstvertrauen, keine Selbstachtung und Selbstschätzung ausbilden können. Politik, die auf das Gemeinwohl zielt, muss ihr Handeln aus diesem Grund auch als eine kulturelle Aufgabe verstehen.
Menschen werden letztlich nur als Menschen anerkannt, wenn sie als Individuen in ihrer Andersheit gewürdigt werden. Der Einzelne will nicht nur als Mensch, sondern als Atheist, als Jude, Muslim, Christ, Agnostiker … anerkannt werden. Diese Anerkennung lässt sich nicht auf den Raum des Privaten beschränken. Wäre dem so, so wäre Politik der Raum, in dem die Identität von Menschen halbiert werden würde. Diese Gefahr besteht in einer liberalen Perspektive, die für »die größtmögliche Trennung zwischen Kirche und Staat« (FDP) eintritt. Aber auch in der SPD machen sich Stimmen breit, die einem Laizismus das Wort reden. Diese haben sich mittlerweile in dem Arbeitskreis der »Laizistinnen und Laizisten in der SPD« gesammelt. Die Mitglieder dieses Arbeitskreises, allen voran der haushaltpolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, kämpfen für die Anerkennungdes Arbeitskreises in der SPD. In diesem Kreis wird eine Reihe von Vorurteilen gegenüber den Religionen bedient. Die Heiligen Schriften der Religionen, so liest man, seien keine Basis für ein Miteinander. Im Gegenteil. Sie dienten letztlich der Spaltung der Gesellschaft. Der Kreis versteht sich als Sprachrohr aller nichtkonfessionell Gebundenen und steht seinem Selbstverständnis nach in der großen Tradition des Humanismus, der Aufklärung und der Arbeiterbewegung der SPD.
Die Neutralität, die hier eingefordert wird, steht für eine abstrakte Politik, abstrakt, weil sie Identitätsfragen der Bürgerinnen und Bürger nivelliert. Diese Entdifferenzierung macht Politik farbenblind. Menschen möchten in ihrer Andersheit anerkannt werden. Eine farbenblinde Politik kann Differenz nicht anerkennen. Auch wenn sie nicht Differenz abschaffen, sondern privatisieren will, so nimmt dieser Laizismus sich doch wohl nur ernst, wenn er sich auch eingesteht, Differenz in der Öffentlichkeit unsichtbar machen zu wollen. So aber lösen die Laizisten Verschiedenheit auf. Die Unfähigkeit, Differenz wahrzunehmen, wird bereits dadurch deutlich, dass der Arbeitskreis sich als Sprachrohr der Konfessionslosen versteht und dabei wie selbstverständlich voraussetzt, dass alle Konfessionslosen areligiös sind.
Sicherlich, sowohl das Verhältnis von Staat und Kirche als auch das Verhältnis von Religion und Politik muss immer wieder neu verhandelt werden, und dabei ist nicht nur auf die Anerkennung der Andersheit, auf die Religion und Kultur des Anderen, zu achten, sondern auch eine inKultur und Religion eingeschriebene Differenz zu retten, die eine Einzigartigkeit in der Andersheit des Anderen markiert. Der Andere darf schließlich nicht in seiner Andersartigkeit bzw. Andersheit eingesperrt sein, nur so nehme ich ihn in seiner Einzigartigkeit wahr. Das heißt, weder die Religion noch die Kultur dürfen zum alleinigen Identitätsmarker erklärt werden. Der Andere lässt sich nie einfach aus dem jeweiligen religiösen und kulturellen Horizont ableiten. Er steht immer auch quer zu all diesen Festlegungen. Seine Würde bedeutet auch die Weigerung, auf Kultur oder Religion reduziert zu werden. Keine Kultur kann, wie der Philosoph Rémi Brague formuliert hat, die Würde einer Person beanspruchen. Dies gilt auch für die Religion. Politik als kulturelle Aufgabe widersteht somit Versuchen, Kulturen und Religionen als geschlossene Einheiten zu zementieren.
Wem religiöse oder kulturelle Standortgebundenheit per se verdächtig ist, der sieht seine Aufgabe darin, Politik von diesen störenden Einflüssen reinzuhalten. Alles, was anders ist, soll ausgeschlossen werden. Diese Politiker wollen Politik immunisieren. Man weiß jedoch, dass Immunisierungen sich irgendwann gegen sich selbst wenden und Autoimmunreaktionen zur Folge haben.
Politik ist immer auch Identifikationspolitik – das wird häufig in den genannten liberalen und laizistischen Positionen unterschlagen. Religiöse Politiker wollen Religion vor der Kritik retten, aber dadurch retten sie ihre Religion nicht. Im Gegenteil. Sie werden, wenn auch wider Willen, zu Beschleunigern ihres Endes. Die Religionskritiker unter den Politikern hingegen erkennen nicht, dass ein Großteil ihrer Kritik sich der Religion selbst verdankt. Die Kritik an der Religion wurde nicht von den Religionslosen erfunden, sondern von den
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