Wie wir gut zusammen leben
einem Sondergremium Entscheidungen über die Rettung des Euro unter Hinweis auf die drängende Zeit am Parlament vorbei getroffen werden. Die Brisanz wird nicht dadurch abgemildert, dass dieses Gremium durch den Bundestag legitimiert worden ist. Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes haben dieses Vorgehen zu Recht einer scharfen Kritik unterzogen. Ein solches Gremium, so die Richter, müsse die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag widerspiegeln.
Macht bedeutet, Entscheidungskompetenz zu besitzen. Nicht alle Diskussionen können so lange geführt werden, bis am Ende ein klares Ergebnis steht. Der Politiker besitzt eine Entscheidungskompetenz, von der er Gebrauch machen muss. Zwei Gefahren gehen allerdings mit dieser Kompetenz einher: Der Politiker wird »Entscheidungsaktivist« (Marie-Christine Kajewski), das heißt, er legt mehr Wert darauf, dass entschieden wird, aber wenig Wert darauf, was entschieden wird. Oder der Politiker wird zum Spieler. Als Spieler sieht er jede Entscheidung als eine Sache des Risikos an. Dabei ist er sich aber sehr wohl bewusst, dass das Risiko, wie der Philosoph Zygmunt Bauman scharfsinnig bemerkt hat, sich auf das bezieht, was der Spieler tut, nicht auf das, was ihm widerfährt, denn nur der Spieler trägt das Risiko. Dass Politik zum Spiel verkommen kann, wird durch die Tatsache gefördert, dass der Politiker keine Haftung für Fehlentscheidungen zu tragen hat. Die einzige Konsequenz, die ihm droht, besteht darin, dass er abgewählt wird.
Politiker sind zwar im Besitz der Macht, aber deshalb sind sie noch lange keine Machtmenschen. Viele Bürger unterstellen dennoch mit einer Selbstverständlichkeit, dass Politiker, weil Politik ja immer mit Macht zu tun hat, Machtmenschen seien. Das hat ein Zweifaches zur Folge: Zum einen beleidigen sie damit den Politiker, da Macht in der Alltagssemantik als Herrschaft des einen über den anderen verstanden wird. Mit einer solchen Aussage wird folglich insinuiert, dass man als Politiker schon in gewisser Weise einen schlechten Charakter haben müsse. Ergo: Je erfolgreicher ein Politiker in der Politik ist, desto schlechter ist er als Mensch. Politiker kennen diese Meinungen nur allzu gut, weshalb auch erfolgreiche Politiker häufig den Eindruck erwecken wollen, sie gehörten nicht zur sogenannten politischen Kaste. Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hat diese Rolle hervorragend zu spielen gewusst, indem er in der medialen Öffentlichkeit die Suggestion aufkommen ließ, dass ihn edlere Motive treiben würden.
Zum anderen werden Politiker durch die allgemein vorherrschende Ansicht, sie seien Machtmenschen, von der moralischen Verantwortung entbunden. Der Bürger, der so spricht, sieht nämlich Politik als ein bloßes Geschäftan, bei dem man sich notwendigerweise die Hände schmutzig machen müsse. Die Moral des Politikers sei schließlich die Moral der schmutzigen Hände. Ein solches Verständnis geht davon aus, dass Moral sich aufsplittert in eine Pluralität von Moralen, und eine davon sei eben die Moral der Politik. Damit wird der Eindruck erweckt, als gebe es eine in sich stehende, autonome Moral der Politik, die völlig losgelöst sei von einer allgemeinen Moral. Die Moral der Politik hat in der Tat eigene Gesetzmäßigkeiten, wie auch die der Wirtschaft, aber sie fällt deswegen nicht aus dem Bereich der allgemeinen Moral heraus. Der Konflikt auf dem Feld der Politik liegt folglich nicht darin, dass hier weniger Moralität herrscht, sondern bestimmte Notwendigkeiten. Wohl auf keinem anderen Feld wird einem Menschen der Spielraum des Handelns so vorgegeben wie auf dem Feld der Politik. Wenn ein Politiker in eine Wahl geht und gegen einen bereits stattfindenden Krieg votiert, so kann es sein, dass er nach der Wahl dennoch den Krieg nicht sofort beenden kann. Das hat mit Notwendigkeiten, aber nicht mit der Moral der schmutzigen Hände zu tun. Ein Machtmensch hat hingegen ein libidinöses Verhältnis zur Macht. Er liebt die Macht um ihrer selbst willen. Er will sie behalten und ihren Ort besetzen. Regierungspolitiker haben dagegen Macht nur auf Zeit. Sie dürfen die Orte der Macht nicht besetzen. Sie sind schließlich keine Könige mehr.
In der Demokratie besitzt niemand die Macht allein. Die Macht geht vom Volk aus. In der Demokratie wird dasVolk aber nicht als Einheit, als »Eines« vorgestellt. »In Wirklichkeit setzt sich das empirische Volk nämlich aus den Vielen zusammen.« Es ist »das Volk aus Fleisch und Blut mit seinen Individuen«
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