Wie wir gut zusammen leben
Religiösen.
Religionen sind einerseits Bestandteil der Gesellschaft, andererseits liegen sie außerhalb der Gesellschaft. Sie existierten bereits, bevor diese Gesellschaft existierte, und so bieten sie über die gesellschaftlichen Plausibilitäten hinaus neue und andere Horizonte. Eine liberale Gesellschaft ist nur liberal, wenn sie offen ist. Sie ist aber nur offen, wenn sie eine Öffnung besitzt. Religionen können solche Öffnungen sein. Sie durchbrechen die Eindimensionalität unserer Gesellschaft, indem durch sie die Gegenwart plötzlich von Vergangenem heimgesucht und unterbrochen wird.
Politik wurzelt in Verschiedenheit. Eine religiös-kulturell fundierte Politik bedeutet nicht notwendigerweise die Auflösung der Pluralität. Im Gegenteil! Eine christlich fundierte Politik, die Pluralität sichern will, tut dies nicht aus Resignation oder strategischen Erwägungen heraus. Ihre Mission ist nicht die Missionierung, sondern der Wille, alles für alle zu wollen, oder anders formuliert: das Gemeinwohl zu fördern.
V .
Die Ethik der Machtpolitik ist die Ordnung.
I n der Politik geht es erstens um Macht, zweitens um Macht und drittens um Macht« – so formulierte einst einer der Begründer der Politikwissenschaft, Ernst Fraenkel. Angesichts dieser Definition ist es nicht verwunderlich, dass viele Bürger der Ansicht sind, dass Politiker Machtmenschen sein müssten. Was ist von dieser Zuschreibung zu halten?
Politik hat viele Facetten. Das Wort beinhaltet eine Mannigfaltigkeit, die immer wieder zu Missverständnissen führt. Häufig meinen wir sehr Unterschiedliches, wenn wir von Politik reden. Die Angelsachsen haben es da besser. Sie besitzen drei Begriffe, um verschiedene Formen politischen Handelns zu unterscheiden. Politics steht für politische Prozesse, policy für politische Inhalte und polity für die politischen Strukturen. Für unseren Zusammenhang schlage ich folgende Differenzierungen vor:
Wenn wir im Allgemeinen von Politik sprechen, dann beziehen wir uns auf ein klares Sachgebiet. Dieses umfasst vor allem die Regierung (Exekutive) und das Parlament (Legislative, bestehend aus Bundestag und Bundesrat). Die Regierung als auch das Parlament zielen auf die Herstellung von Ordnung, wobei durchaus unterschiedliche Ordnungsvorstellungen vorherrschen und debattiert werden. Diese Ordnungspolitik verfolgt jedoch keinen Selbstzweck. Der Staat in der liberalen Demokratie istzum Schutz des Individuums da und nicht umgekehrt das Individuum für den Staat. Regierungspolitik hat mithin die Aufgabe, menschliches Zusammenleben zu ermöglichen, und das heißt, zu regeln.
Regierungspolitik ist verantwortlich für Ordnungsverhältnisse. Als solche ist Regierungspolitik Machtpolitik, da Ordnungsverhältnisse Machtverhältnisse sind. Machtverhältnisse sind notwendig. Wer wollte das ernsthaft bestreiten? Wir sind darauf angewiesen, weil Macht Ordnung schafft und so Normalität ermöglicht. Voraussetzung von Normalität ist Sicherheit. Wer jedoch Sicherheit garantieren will, der muss auch Freiheit reglementieren. Die Herstellung der Balance zwischen Sicherheit auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite ist immer wieder Grund hitziger innenpolitischer Debatten.
Macht ist jedoch nur so lange politisch, wie sie auf ein gutes Zusammenleben zielt, mit einem anderen Wort, auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Verliert Macht diese Orientierung, schlägt sie um in Herrschaft und Gewalt. Der Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) unterscheidet in seinem Werk »Leviathan« (1651) zwei unterschiedliche Formen von Gewalt: »violence« und »common power«. Gewalt (violence) ist, anders als Macht, stumm. Macht übt zwar immer auch Gewalt (common power) aus, aber sie beruht nicht auf Gewalt (violence). Politik ohne Polizei wäre ohnmächtig. Es ist die Gewalt (violence), die Regierungspolitik als Machtpolitik von bloßer Herrschaftspolitik unterscheidet. Macht ist offen, Herrschaft schließt ab. Herrschaft tendiert zur Totalität. Politik ist Machtpolitik, aber keine Herrschaftspolitik. Regierungspolitik losgelöst vom Parlament kippt um in Herrschaft. Es ist das Parlament, das die kommunikative Dimension von Macht offenbart. In der Kommunikation der Macht ist ihre Legitimität begründet.
Jegliche Beschränkung der Macht des Parlaments ist ein Indiz für die Gefahr, dass politische Macht zur Herrschaft zu verkommen droht. Aus dieser Perspektive betrachtet, wird die Brisanz des Handelns der Regierung Merkel offenbar, wenn in
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