Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
Vom Netzwerk:
mir, wenn jemand diesen Schritt ohne eigenes Nachdenken über Werte unternimmt.
    Â 
    Noch einmal zurück zu der Überlegung, wie Sie jemanden von Ihren Werten überzeugen wollen, der auf der anderen Seite steht. Nehmen wir jetzt als Beispiel nicht Josef Ackermann, sondern ein anderes: Einige islamische Staaten haben das, was im Koran steht, zum rechtsgültigen Maßstab gemacht, und zwar in manchen Ländern eins zu eins. Wie wäre es denn, wenn wir die Vorschriften aus der Bibel in Gesetze fassen würden?
    Â 
    Zwischen der christlichen und der muslimischen Religion gibt es mehr Übereinstimmungen, als es uns bewusst ist. Aber es gibt auch den großen Unterschied, den Sie angesprochen haben. Denn nach einer im Islam weit verbreiteten Auslegung des Koran sind seine Lehren gleichzeitig für das Gemeinwesen verbindlich. Da gibt es dann keine Trennung und keine Religionsfreiheit. Und es gibt nach dieser Auslegung auch andere Zwänge, die wir als Verstoß gegen die Menschenwürde ansehen. Wir haben dieses Stadium spätestens
im Zeitalter der Aufklärung endgültig verlassen. Und meine Kirche hat das dann immerhin im Zweiten Vatikanum ausdrücklich anerkannt. Jetzt sollte der Islam eine ähnliche Entwicklung durchlaufen. Und Ansätze dafür sind ja erkennbar.
    Â 
    Ich habe nach einem Weg gefragt, wie man die Menschen zu einem wertebewussteren, einem ethischeren Leben bewegen kann. Hier kann ich noch keine Renaissance, keine Epochenwende erkennen. Sie etwa?
    Â 
    In meinem Leben habe ich Zehntausende, ja wohl an die Hunderttausend von unmittelbaren Berührungen mit Menschen gehabt. Es ist doch so, dass Anstand nach wie vor für viele Menschen eine Rolle spielt. Haben wir nicht auch ein großes Maß an gegenseitiger Hilfe, die geleistet wird? Ist Dominik Brunner, der 2009 in München getötet wurde, weil er sein Leben einsetzte, um andere zu retten – ist das wirklich nur ein abnormer Einzelfall? Ich würde nicht sagen, dass der Ellenbogen für die Mehrheit der Menschen das maßgebende Organ ist. Ich glaube, auch das Herz ist nach wie vor für viele wichtig.
    Â 
    Sie sind tatsächlich ein Optimist. Es gab einmal einen Vorschlag, Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn im Grundgesetz zu ergänzen.
    Â 
    Es wäre eine gute Ergänzung gewesen. Ich erinnere mich noch an Konrad Elmer, evangelischer Pfarrer und Gründungsmitglied der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, der nach 1990 in der Gemeinsamen Verfassungskommission dafür gekämpft und große Unterstützung gefunden hat. Bei richtiger Auslegung ist der Aufruf zu Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn im Grundgesetz inhaltlich schon enthalten. Aber es wäre eine gute Sache gewesen, dies ausdrücklich in seinen Text aufzunehmen, und zwar an seinem Anfang. Elmers Vorstoß war eine Zeit lang aussichtsreich, verlor dann aber leider an Unterstützung bei Teilen der Union und der FDP. Übrigens steckt der Gedanke des Gemeinsinns auch im Artikel 14 des Grundgesetzes, in dem es um die Garantie des Eigentums geht. Wissen Sie, warum diese Garantie auch gegeben wurde? Weil es im zweiten Absatz heißt: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«

    Â 
    Mir fehlt es nur nach wie vor an der Umsetzung.
    Â 
    Ja, die könnte stärker sein, da stimme ich Ihnen zu. Gerade im Bodenrecht.
    Â 
    Sie glauben, das Grundgesetz müsste in dieser Hinsicht, wenn überhaupt, nur in diesem Punkt ergänzt werden. Ansonsten ist es, so wie es da steht, brauchbar und bedarf keiner Korrekturen?
    Â 
    Es ist die beste Verfassung, die wir je in unserer Geschichte hatten. Es hat zur Entwicklung unseres Landes einen wesentlichen Beitrag geleistet. Erneuerungen müssen natürlich von Zeit zu Zeit vorgenommen werden, zuletzt waren diese gelegentlich zu häufig. Auch die Sprache in den neuen Artikeln war nicht mehr die anfängliche Grundgesetzsprache, sondern zu oft eine Art Gesetzes-oder zum Teil sogar Verordnungssprache. Und vergessen Sie nicht: Wir haben eine Einrichtung, die dafür sorgt, dass das Grundgesetz lebendig bleibt und immer wieder eine Konfrontation mit der Realität stattfindet – es ist das Bundesverfassungsgericht.
    Â 
    Ja, richtig, Ihre Lieblingsinstitution.
    Â 
    Dieses Gericht hat zum Erfolg der Bundesrepublik einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet – und das bestätige ich immer wieder gern. Sicher, als

Weitere Kostenlose Bücher