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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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beseitigen? Aber ist der Mensch dann noch ein Mensch oder nicht eher ein Automat? Ich weiß, dass dies alles aus der Sicht der Opfer nicht leicht zu verstehen und zu akzeptieren ist. Doch das Böse ist nun einmal in der Welt.
    Viel schwerer tue ich mich mit Dingen, die sich in der Natur ereignen und deren Gesetzmäßigkeit folgen. Also mit Tsunamis, mit Erdbeben, mit Erdplatten, die sich verschieben. Da walten Naturgesetze, die nicht von Menschen geschaffen sind und nicht mit einem freien Willen erklärt werden können, die nach christlicher Vorstellung vom Herrgott stammen. Und da Gott die Welt auch mit der Möglichkeit solcher Naturkatastrophen ausgestattet hat, frage ich mich, warum Er es zulässt, dass es dabei immer wieder Hunderttausende von Toten gibt. Darauf eine einigermaßen überzeugende Antwort zu finden, ist verdammt schwer.

    Â 
    Haben Sie denn eine Antwort gefunden?
    Â 
    Ja, jedenfalls eine Antwort, mit der ich leben kann. Sie lautet: Der Friede Gottes – so steht es in einem der Paulusbriefe – ist höher als alle menschliche Vernunft. Die menschliche Vernunft stößt aber an Grenzen, wenn wir ihre Maßstäbe an die Ratschlüsse Gottes anlegen wollen. Mit dieser Antwort beruhige ich mich dann. Wissen Sie, eine Welt ohne eine konkrete Gottesvorstellung, eine Welt, in der alles nur Zufall ist, nur Evolution, in der es keinen unbewegten Beweger gibt, der das Ganze lenkt, in der der Tod das absolute Ende ist – wäre das eine sinnvollere, eine lebenswertere Welt? Für mich nicht.
    Â 
    Ich lasse dies stehen und frage: Sie haben einige Prinzipien und Werte aufgezählt, die aus der Bibel stammen, aus dem Grundgesetz, aus dem Humanismus und der Kant’schen Philosophie …
    Â 
    Hierher gehören wohl noch die Kardinaltugenden, also Weisheit, Gerechtigkeit, Besonnenheit und Tapferkeit. Und auch die Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit.
    Â 
    Dann mache ich es mir einfach und frage, gegen welche Werte und Tugenden haben Sie verstoßen?
    Â 
    Mein Privatleben schließe ich jetzt mal aus. Da habe ich sicher nicht immer alles richtig gemacht. Wir reden hier über den politischen Bereich. Ja, da hat mein Ego manchmal schon eine stärkere Rolle gespielt , als es das bei voller Anwendung aller bisher genannten Kriterien hätte tun sollen.
    Â 
    Eitelkeit wäre eine solche Sünde?
    Â 
    Ja, ja, ja. Der Wille, öffentlich wahrgenommen zu werden zum Beispiel. Insgesamt bin ich mit mir einigermaßen im Reinen, denn es gab in meinem Leben auch keine Karriereplanung. Wer in Bayern ein sehr gutes zweites juristisches Staatsexamen hatte – und das hatte ich –, der konnte davon ausgehen, dass seine berufliche und damit seine materielle Sicherheit ein für alle Mal gewährleistet war. Ich habe mich auch nicht nach den Aufgaben, die mir
dann übertragen wurden, gedrängt. Sie sind auf mich zugekommen. Der Gedanke, mit dreiunddreißig Jahren in München für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren, stammte nicht von mir. Ich habe es getan, weil mir Freunde nachdrücklich dazu rieten und ich mir dieses Amt allerdings auch zutraute. Ich habe mich nicht nach Bonn gedrängt, und 1981 nach Berlin erst recht nicht. Ich übernahm lauter Aufgaben, bei denen sich die Zahl meiner Mitbewerber in sehr engen Grenzen gehalten hat oder in Wahrheit gegen null tendierte. Na ja, und bei der Kanzlerkandidatur gegen Helmut Kohl im März 1983 war die Zahl der Bewerber ebenfalls überschaubar. Ich sagte: »Verflucht noch mal, ihr könnt doch nicht der Sozialdemokratie und den Menschen zumuten, dass wir jetzt, nachdem Helmut Schmidt aus verständlichen Gründen die Kandidatur abgelehnt hat, händeringend über Wochen nach jemandem suchen.« Also habe ich in Gottes Namen diese Aufgabe übernommen. Im eigentlichen Sinne eitel war das alles nicht.
    Noch etwas: Neben der anständigen Erledigung meiner Arbeit war mir stets der unmittelbare Kontakt zu den Menschen wichtig. Im Münchner Rathaus sowieso, dann mit Hilfe des von mir zunächst in München und dann in Berlin eingerichteten Bürgerbüros. In Berlin waren es in zwölf Jahren rund viertausend Menschen, die zu mir persönlich kamen, denen ich zuhörte und denen ich in etwa einem Fünftel der Fälle in irgendeiner Weise helfen konnte.
    Doch was habe ich falsch gemacht? Bei den

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