Wie wollen wir leben
Bezug auf die DDR-Geschichte auf uns zukommen.
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Die zweite Diktatur, die Diktatur der DDR, ist ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Arbeit in dem Projekt »Gegen Vergessen â Für Demokratie«. Egon Bahr hat bei einem Festakt für Brandenburgs Ex-Landeschef Manfred Stolpe im Mai 2011 einen kleinen Eklat verursacht und das Wort »Schlussstrich« zwar nicht in den Mund genommen, aber in seiner Rede klang dies durch. Er sagte, die Stasi-Unterlagenbehörde hätte in einem gerüttelten Maà Schuld daran, dass der Stolz der Ostdeutschen verletzt und geduckt wurde, und er hat Marianne Birthler, der ehemaligen Stasi-Unterlagen-Beauftragten, ganz offen mangelnden Versöhnungswillen vorgeworfen. Bahr kritisierte, dass sie Versöhnung nicht als politische Kategorie, sondern als eine persönliche definiert hätte. Bei seiner Rede hatte man das Gefühl, als würde er sagen wollen: »Jetzt hört mal auf damit, das hat Unfrieden gestiftet und der inneren Einheit geschadet.« Können Sie dem zustimmen?
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Ich respektiere Egon Bahr sehr, und seine groÃen Leistungen für die Ostpolitik sind unvergessen. Aber in diesem Punkt würde ich gern etwas gründlicher mit ihm diskutieren. Es ist ja so, dass nach wie vor Menschen bei dieser Behörde anfragen â und zwar gerade Menschen, die in der DDR gelebt haben. Warum soll man denen heute verkünden: »Jetzt ist Schluss, jetzt könnt ihr nicht mehr nachfragen.« AuÃerdem: Wie soll das praktisch gehen? Ich weiÃ, eines Tages werden sämtliche Unterlagen dem Bundesarchiv übergegeben â aber wenn jemand persönlich betroffen ist, kann er dann dort nachfragen.
Letztlich geht es aber nicht nur um die einzelnen Stasiaktivitäten, sondern um die Frage, wie es zu dieser zweiten Diktatur gekommen ist. Was hat diese Diktatur bewirkt? Hierbei könnte
es sinnvoll sein, sich an einen Abschnitt aus der Weimarer Geschichte zu erinnern. Damals sagten die Kommunisten: »Unsere Hauptfeinde sind nicht die Nationalsozialisten, sondern die Sozialdemokraten. Sie sind Sozialfaschisten.« Diese Haltung hat zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen und später bis zur Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD in der DDR fortgewirkt.
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Bahr sagte in seiner Laudatio: »Wir versöhnen uns eher mit unseren Nachbarn als mit uns selbst.« Hat er recht?
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Das kann ich quantitativ nicht abschätzen. Aber gibt es bei uns denn nicht schon viele Opfer, die sich mit denen versöhnt haben, die ihnen Leid zufügten? Und sind die Letzteren nicht auch in einiger Zahl auf die Opfer zugegangen?
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Vergebung läge somit bei den Opfern. Kann man ihnen das nahelegen?
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Im Einzelnen kann ich das nicht beurteilen, aber nach dem, was ich aus evangelischen Gemeinden höre, ist das kein Ausnahmezustand.
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Vielleicht ist das eine Generationenfrage. Wo genau waren Sie eigentlich am 9. November 1989?
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Im Laufe der damaligen Entwicklung hatte ich immer wieder verlangt, dass im Kanzleramt ein Gespräch des Bundeskanzlers mit allen Fraktionsvorsitzenden im Sinne eines Runden Tisches stattfindet. Ich war davon überzeugt, dass man die bislang erkennbaren Geschehnisse nicht allein mit den üblichen parlamentarischen Verfahrensmethoden zwischen Regierung und Opposition behandeln könne, sondern dass wir uns zusammensetzen sollten. Und insoweit konnte ich an diesem 9. November einen Teilerfolg verzeichnen. Denn an diesem Tag gab es nachmittags im Bundeskanzleramt ein solches Treffen. Allerdings war Helmut Kohl nicht dabei. Er war zu einem Staatsbesuch nach Polen geflogen. Seine Abwesenheit war aber kein Grund, die Gesprächsrunde abzusagen, weil er von Rudolf Seiters, dem damaligen Kanzleramtsminister, vertreten wurde. Weiter waren Alfred Dregger, seinerzeit
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Vorsitzender der Unionsfraktion, und Wolfgang Mischnik, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, zugegen. Ebenso jemand von der CSU. In dieser Runde habe ich dann als Vorsitzender der SPD meine Gedanken vorgetragen.
Während darüber diskutiert wurde, machte Herr Ackermann, ein für die Presse Zuständiger und Vertrauter Helmut Kohls, die Tür auf, kam herein und sagte: »Hier ist eine Meldung, dass die Mauer geöffnet wird.« Ich sagte: »Das ist ja unglaublich« und bat ihn, diese Information noch einmal prüfen zu lassen. Während er dies tat, erhielten wir von Annemarie Renger, der amtierenden
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