Wie zaehmt man einen Herzensbrecher
Frühstücksbar und kam hinter Merlina her, um sie ungestüm zu umarmen. „He, ich wollte dich nicht verärgern. Ich möchte doch nur, dass es dir gut geht.“
„Dann steck mich nicht ständig in irgendwelche Schubladen, in die ich nicht gehöre. Wir sind eben unterschiedlich. Mir gefällt meine Frisur … und meine Kleidung und mein Job. Also lass mich einfach in Frieden, ja?“ Sie küsste ihre Schwester auf die Wange und entzog sich ihrer Umarmung. „Machs gut, und viel Glück in der Augenklinik.“
Doch so leicht gab Sylvana dann doch nicht auf. „Weißt du eigentlich, dass der Rock durchsichtig ist, Merlina?“, rief sie ihrer Schwester nach. „Du musst unbedingt einen Unterrock darunter tragen.“
Merlina winkte nur lässig mit einer Hand und beeilte sich, aus ihrer Wohnung zu kommen. Das alles hatte sie Jake Devila zu verdanken, wobei er nicht ahnte, welchen Gefallen er ihr im Grunde mit seinen Anforderungen getan hatte. Es war für sie ein befreiender Akt gewesen, seine Image-Vorstellungen erfüllen zu müssen, denn sie hatte dazu einige einengende Hemmungen abschütteln müssen. Früher hatte sie die Mädchen insgeheim beneidet, die ein so selbstbewusstes selbstverständliches Verhältnis zu ihrem Körper hatten. Ihr Job bei Jake hatte ihr nun den Vorwand, die Erlaubnis und den Anreiz geliefert, das zu tun, was sie immer schon hatte tun wollen. Innerhalb der Grenzen des Anstandes, die sie niemals überschritt.
Sylvana war einfach hoffnungslos konservativ-italienisch. Nein, Merlina sah keinen Grund, sich wegen der Veränderungen in ihrem Erscheinungsbild ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Gut, wenn sie ehrlich war, dann hatte sie es zuerst große Überwindung gekostet, sich das Haar schneiden zu lassen, weil sie es immer lang getragen hatte. Allerdings war es jetzt auch nicht wirklich kurz, sondern reichte gestuft immer noch bis auf die Schultern, aber es umschmeichelte jetzt fedrig leicht ihr Gesicht und passte so zugegebenermaßen besser zu ihren modernen Outfits.
Mochte Jake Devila auch den Anstoß dazu gegeben haben, Merlina gefiel ihr verändertes Äußeres inzwischen, und sie stand dazu. Mehr noch, auch wenn sie sich für die Zukunft ein neues Betätigungsfeld suchen würde, hieß das nicht, dass sie sich wieder hinter faden Kostümen verstecken würde. Selbst wenn sie vielleicht bei einem anderen Arbeitgeber auf taillenfreie Outfits verzichten musste.
Auf jeden Fall war es nicht nur schlecht gewesen, für Jake zu arbeiten, sondern in vieler Hinsicht eine anregende Erfahrung. Während Merlina mit dem Zug von Chatswood nach Milson’s Point fuhr, wo sich in bester Lage mit Blick auf Sydney Harbour der Firmensitz von Signature Sounds befand, machte sie sich dennoch energisch klar, dass sie ihr Arbeitsverhältnis mit Jake Devila beenden musste. Bald. Sehr bald.
2. KAPITEL
Entspannt lehnte sich Jake in seinem luxuriösen blaugrauen Ledersessel zurück, legte die Füße auf die polierte Platte seines Chefschreibtisches und verschränkte die Hände vor der Brust. Er war restlos zufrieden mit sich und der Welt.
Mel würde eine derart unprofessionelle Pose natürlich missbilligen. Jeden Moment konnte sie jetzt sein Büro betreten. Sie würde schweigend auf die Sohlen seiner Schuhe blicken und ihn erst begrüßen, wenn er die Füße vom Schreibtisch genommen und sich wieder aufrecht hingesetzt hätte.
Mel hatte Prinzipien. Sie hätte eine gute Lehrerin abgegeben. Oder ein Kindermädchen. Was vor seinem geistigen Auge vergnügliche Bilder beschwor.
Jake ließ den Blick zu dem Panoramafenster schweifen, das einen herrlichen Blick auf die Sydney Harbour Bridge bot, und bemerkte eine Gruppe von Kletterern auf dem Weg hinauf auf den großen Bogen, von wo aus man eine unvergleichliche Aussicht hatte. Sie hatten sich einen tollen Morgen dafür ausgesucht – der Himmel war strahlend blau, die Sonne schien, und die Luft war klar. Ja, das sollte ich auch eines Tages machen, dachte Jake. Jeden Gipfel stürmen. Climb every mountain …
Der alte Song aus dem Rodgers und Hammerstein Musical The Sound of Music fiel ihm wieder ein. Daraus ließe sich doch sicher ein für die ältere Generation geeigneter Klingelton machen. Er würde die Jungs nachher darauf ansetzen.
Ja, er wollte jeden Gipfel stürmen. „Climb every mountain …“
Julie Andrews, die in der Verfilmung von 1965 die Nonne spielte, die in der Familie von Trapp Kindermädchen wird und den Hausherrn erobert, tanzte ihm noch im Kopf
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