Wie zaehmt man einen Herzensbrecher
Frau Kinder bekommen konnte, war begrenzt, und ihr italienischer Papa ließ keine Gelegenheit ungenutzt, sie daran zu erinnern, dass sie mit ihren Karriereträumen schon viel zu viel davon vergeudet habe.
Ihre Schwestern und Brüder waren längst verheiratet und hatten Kinder. Auch Merlina wünschte sich im Grunde nichts anderes. Aber zu ihren Bedingungen, nicht zu denen ihrer Familie. Deshalb hatte sie sich von ihrem Vater auch nicht unter Druck setzen lassen, der sie wie alle seine Töchter am liebsten als Ehefrau und Mutter gesehen hätte, sondern hatte sich geschworen, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen. Erst wollte sie frei von allen elterlichen Erwartungen herausfinden, wer sie wirklich war.
„Merlina, wo bleibst du?“, hörte sie ihre Schwester rufen. „Die Pfannkuchen, die ich für dich gebacken habe, werden kalt.“
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine will, Sylvana.“ Merlina seufzte gereizt, nahm ihre Handtasche vom Bett und ging in den Wohnbereich ihres kleinen Apartments.
„Du bist viel zu dünn und könntest etwas mehr auf den Rippen vertragen.“
Merlina presste die Lippen zusammen. Jeder aus ihrer Familie sagte das, und sie war es leid. Nur weil ihre Eltern und Geschwister alle für ihr Leben gern aßen und entsprechend gut gepolstert waren, war sie noch lange nicht zu dünn, sondern lediglich dünn im Vergleich zu den anderen. Ihre Figur besaß im Gegenteil schon von Natur aus weibliche Rundungen, sodass es manchmal recht gewagt für sie war, sich nach der neuesten Mode zu kleiden, wie es ihr Job verlangte.
„Ich habe schon Joghurt und Obst gefrühstückt und möchte nichts mehr“, erklärte sie und konnte es kaum erwarten, sich von ihrer Schwester zu verabschieden, die von Griffith nach Sydney gekommen war, um sich einer Laser-Operation gegen ihre Kurzsichtigkeit zu unterziehen. Sie hatte bei Merlina übernachtet, weil sie dann am Morgen nicht so hetzen musste.
Sylvana saß an der Frühstücksbar und sprach mit Appetit den mit süßem Ahornsirup durchtränkten Pfannkuchen zu, obwohl sie genau genommen bereits einige Pfunde zu viel mit sich herumschleppte.
„Ich muss jetzt los“, meinte Merlina. „Viel Glück. Hoffentlich ist die Operation erfolgreich, sodass du keine Brille mehr tragen musst.“
Die Hand mit der gehäuften Gabel verharrte mitten in der Luft, während Sylvana ihre Schwester fassungslos anblickte. „Du gehst doch nicht etwa so zur Arbeit!“
So bezog sich offensichtlich auf das Outfit, das Merlina an diesem Morgen sehr sorgfältig zusammengestellt hatte: ein ihre Figur umschmeichelnder langer Rock mit einem hübschen Blumenmuster in Grün und Pink, ein Flechtgürtel auf ihren wohlgerundeten Hüften in Pink und Messing, kombiniert mit einem kurzen dunkelgrünen, ärmellosen Baumwolltop. Dazu trug sie mehrere lange Goldketten, große Goldkreolen und hochhackige dunkelgrüne Sandaletten. Sylvana allerdings war wie meist in respektables Schwarz gekleidet: Eine konservativ geschnittene Hose und ein langes weites T-Shirt darüber verdeckten ihre Speckröllchen.
Merlina errötete unwillkürlich. „In meiner Firma wird von mir erwartet, dass ich mich so kleide, Sylvana“, erklärte sie schroff.
„Dass man deine nackte Taille sieht?“
„Diese Hüftröcke sind die neueste Mode.“
„Wenn der Gürtel nur ein bisschen verrutscht, kann man deinen Nabel sehen! Papa wäre entsetzt, wenn er wüsste, dass du dich so in der Öffentlichkeit zeigst.“
„Dies ist die Großstadt, Sylvana. Ich muss mich hier nicht vor der italienischen Gemeinde von Griffith rechtfertigen. Hier wird keiner über mich klatschen, und du solltest auch besser den Mund halten, wenn du nach Hause kommst. Verstanden?“
Sylvana verzog beleidigt das Gesicht. Sie war zwei Jahre jünger als Merlina, aber allein die Tatsache, dass sie, wie es sich gehörte, bereits verheiratet war und ein Baby hatte, gab ihr offensichtlich das Recht, ihre widerspenstige Schwester zur Ordnung zu rufen. „Es war schon schlimm genug, dass du dir dein schönes langes Haar so zottig hast schneiden lassen“, gab sie keine Ruhe. „Ich glaube, dieser Job tut dir nicht gut.“
„Das ist allein meine Sache“, entgegnete Merlina energisch, obwohl sie aus ganz anderen Gründen ja bereits selber zu diesem Schluss gelangt war. „Jetzt muss ich los. Zieh die Tür gut hinter dir ins Schloss, wenn du gehst. Und grüß alle zu Hause von mir.“
„Warte!“, rief Sylvana ihr nach, rutschte von dem Hocker an der
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