Wiedergaenger
weiß, wovon er
spricht. Liv hat schon länger den Verdacht, dass sein letzter
Arbeitgeber ihn mehr oder weniger vor die Tür gesetzt hat.Als
Selbstständiger ist er nicht gerade ausgebucht, soviel sie
mitbekommen hat.Allmählich scheint es auch finanziell eng zu
werden.
Sie drückt seinen Arm. »Du bist ein mitfühlender
Mensch, weißt du das?«
»Soll das ein Kompliment sein?«
»Was denn sonst?«
»Eine Mitleidsbekundung.«
Sie schüttelt den Kopf. Über sich selbst, nicht als
Antwort.
Er hat recht, für Mitleid ist er zu schade. Und durchfüttern
wird sie ihn auf keinen Fall.
Im Lotsenhus, einem Lokal am Fischereihafen von Burgstaaken,
treffen Liv und Max als Letzte ein, die Wangen rot, die Haare vom
Wind durchwühlt. Sie stellt ihm zuerst ihre Großeltern
vor. Dann die Eltern, Tante Edith und Onkel Elmar, ihren
CousinFlorian, frisch geschieden und mit neuer Freundin, einer so
unscheinbaren Frau, dass der erste Eindruck nicht mal für ein
Vorurteil reicht, und zuletzt die grässliche Cousine
Tessa,dicker denn je, nebst Ehemann und zwei völlig verzogenen,
bereits arg pummeligen Kleinkindern, deren Namen Liv für nicht
erwähnenswert hält, weil sie ohnehin nicht darauf hören.
Max gibt jedem die Hand, was sie zwingt, das Gleiche zu tun. Livs
Mutter Maiken fordert mit unmissverständlicher Geste Wangenküsse
ein.Der Duft ihres Parfüms bleibt sofort an jedem haften. Sie
benutzt es, solange Liv denken kann. Begrüßungsfloskeln:
Junges Glück vergisst die Zeit. Wenigstens habt ihr Sonne
mitgebracht. Wenn Engel reisen.Bla bla bla ...
Max und sie nehmen nebeneinander Platz. Liv kennt das Restaurant
von der Goldenen Hochzeit ihrer Großeltern vor einigen Jahren.
Exzellente Fischgerichte, die Atmosphäre gediegen-maritim mit
dunklem Inventar unter mächtigen Dachbalken.AmAbend ist es
schwer, überhaupt einen Tisch zu bekommen. Soweit Liv informiert
ist, haben Henny und Tönges Engel sich hier bei einer
Tanzveranstaltung kennengelernt.Im Urlaub. Ein symbolträchtiger
Ort also für ein Osteressen, das ebenso gut im Haus der Eheleute
in Lübeck hätte stattfinden können. Oder überhaupt
nicht, schließlich liegt niemandem wirklich daran.
Eine hübsche Bedienung verteilt Speisekarten. Sie ist keine
zwanzig, weißblond und braungebrannt wie eine Surferin, Florian
bestaunt sie mit halb geöffnetem Mund. Alle anderen Blicke
gelten Max. Er bleibt gelassen.Auch als die Fragerei losgeht. Nach
seinem Beruf: Betriebswirt, seiner Herkunft: Hamburg, zur Zeit in
Travemünde ansässig,und seinem Familienstand: ledig, keine
Kinder.
»Wie habt ihr euch kennengelernt?« Die Frage kommt von
Florian, der die Augen nicht von der inzwischen dem Zapfhahn
zugeteilten Kellnerin lassen kann.
»Beim Joggen«, sagt Max.
»Du joggst?«, fragt Maiken Engel in gewohnt
spöttischem Tonfall. Seit ihr in Livs rebellischer Phase ein
Familientherapeut dazu riet, in Konfliktsituationen Souveränität
zu demonstrieren, sich also niemals aus der Reserve locken zu lassen,
geht bei ihr keine Kommunikation ohne Spott über die Bühne.
Liv ist sich nicht sicher, ob es das war, was der Therapeut damals
bezwecken wollte.
»Gelegentlich. Und wenn, dann jogge ich nicht, ich renne«,
sagt sie.
»Vor dem Leben davon?«, fragt Tessa.
So schlagfertig hatte Liv die Cousine nicht in Erinnerung. Sie
nickt ihr anerkennend zu. »Du hast wohl neuerdings den
Durchblick.«
Minutenlanges Geplänkel. Tönges Engel thront unbeteiligt
an der Stirnseite der langen Tafel und ergreift erst das Wort, als
ein Mittfünfziger mit Oberlippenbart, dem Gehabe nach der
Inhaber des Hauses, die Bestellungen entgegennehmen will. In
gewohnter Manier entscheidet er für alle: »Wir bekommen
die Fischplatte für zehn Personen mit Bratkartoffeln und zwei
Mal den Kinderteller.«
Tessa zieht eine beleidigte Grimasse, vermutlich hätte sie
Pommes bevorzugt. Liv und Max grinsen sich an.
»Eine gute Wahl«, schleimt der Wirt. »Was
möchten Sie dazu trinken?«
Das Familienoberhaupt, mit seinen achtundsiebzig Jahren immer noch
dominant wie ein Halbstarker, ordert Riesling und Mineralwasser.
Onkel Elmar wagt einzuwenden, dass er lieber ein Bier hätte, Liv
schließt sich an. Tessas Töchter verlangen nach Cola.
»Cola gibt es nicht. Ihr seht jetzt schon aus wie eure
Mutter«, sagt Tönges, worauf Tessa unter
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