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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Ostsee und dem
Nordatlantik zwischengelagert worden, weil die richtige Postleitzahl
fehlte. Die hatte der Junge wohl nicht im Kopf, als er die Karte zu
ihrer Beruhigung schrieb.
    Fritzi bekommt selten Post, von Rechnungen abgesehen, und sie
verschickt auch keine. In ihrem ganzen Leben schrieb sie nur drei
Briefe: einen an Jón,als dieser in Dänemark weilte, einen
an den isländischen Regierungschef, um ihrem Wunsch nach
schnellstmöglicher Einbürgerung Nachdruck zu verleihen –
und der letzte Brief ging nach Deutschland, das ist noch gar nicht
lange her. Es war das längste und heikelste Schriftstück,
das sie je verfasst hat. Den ganzen Sommer hat sie sich damit
herumgequält, vor allem die Rechtfertigungsversuche für ihr
heimliches Verschwinden nach dem Krieg waren zeitraubend. Damals hat
sie geglaubt, es sei ihr gutes Recht. Heute sieht sie das anders. Bis
sie den Schneid besaß, das Schreiben in die Post zu geben, war
der Herbst vergangen, und es wurde bereits Winter. Drei Briefe, zwei
Nieten. Lediglich das mit der neuen Staatsbürgerschaft klappte.
Der Brief an Jón ging verloren, und was aus dem dritten wurde,
weiß sie nicht. Es kam keine Antwort. Die reinste
Papierverschwendung.
    Sonntag im Schrebergarten. Sie sät Mohrrüben und Erbsen,
legt Bohnen, immer drei zusammen, und setzt Kartoffeln, wobei sie
penibel darauf achtet, sich an Tönges' Regeln zu halten. Es sind
mehr als dreißig Jahre vergangen, seit sie ihm beim Gärtnern
geholfen hat, vergessen hat sie nichts. Handgriffe merkt Liv sich
leicht, im Detail. Nicht, dass sie sonst Schwierigkeiten mit ihrem
Gedächtnis hätte, aber bei Namen und Gesichtern muss sie
schon achtgeben, während Handgriffe automatisch gespeichert
werden und ohne Nachdenken jederzeit abrufbar sind. Praktisch in
ihrem Beruf.Auch da hat sie das meiste, was sie weiß, von ihrem
Großvater gelernt. Hat sie sich eigentlich jemals dafür
bedankt? War sie in den letzten Jahren zu respektlos,um ihn erkennen
zu lassen, wie froh sie ist, dass er sie zu seiner Nachfolgerin
gemacht hat? Sie wird es ihm sagen, das nächste Mal, wenn sie
sich sehen.
    Liv kniet im Beet und singt, sehr leise, um nicht von den
betriebsamen Kleingärtnern ringsum gehört zu werden. Ein
zeitloser Augenblick. Die Erde fühlt sich an wie damals, ebenso
das Singen.
    Ihr Großvater hat nicht mitgesungen. Sie hat ihn nie singen
hören.Allein die Vorstellung ist völlig absurd. Ebenso wie
das, was sie hier tut: Gemüse anbauen für einen
Verschollenen. Auf Anweisung sozusagen.
    Ihr Gespräch mit der Polizei am Vormittag: Der für
Tönges' Fall zuständige Beamte, ein schläfriger
Brillenträger mit Stirnglatze, hatte sich freundlicherweise
bereiterklärt, sie in der Laube zu treffen. Allerdings war das
Ergebnis der Unterhaltung ernüchternd: Im polizeilichen Sinn
gilt Tönges Engel nicht als vermisst, da nach Überzeugung
des Ermittlers zwar sein Aufenthaltsort unbekannt, jedoch keine
Gefahr für Leib und Leben zu erkennen sei. Dummerweise hat ihre
Aussage diese Einschätzung eindeutig bestärkt.
    Â»Halten Sie Ihren Großvater für suizidgefährdet?«
    Â»Selbstmord – Tönges? Niemals.«
    Â»Sehen Sie: Das sagen alle, mit denen ich gesprochen habe.«
    Â»Mit wem haben Sie denn bislang gesprochen?«
    Â»Unter anderem mit Ihren Eltern und Ihrer Tante. Und jetzt
rede ich mit Ihnen. Ist Ihr Großvater krank, oder haben Sie in
letzter Zeit Anzeichen von Demenz oder Vergesslichkeit bemerkt?«
    Â»Nein, er war immer topfit.Aber könnte er nicht einem
Verbrechen zum Opfer gefallen sein?«
    Â»Wir haben nichts gefunden, was darauf hindeutet. Hat er
Feinde?«
    Â»Eigentlich nicht, obwohl ...« Sie hat kurz gezögert,
bevor sie von der Auseinandersetzung zwischen ihrem Vater und Tönges
auf Fehmarn berichtete.
    Danach kühlte die Stimme des Polizisten um ein paar Grade ab.
»Warum erzählen Sie mir das?«
    Schulterzucken. Er würde sich schon allein einen Reim darauf
machen: Familienstreitigkeiten, ein Sohn, der seinen Vater hasst,
dann dessen Verschwinden .
    Â»Wie ist das Familientreffen weiter verlaufen? Eskalierte
die Situation, oder kam es zu einer Versöhnung?«
    Â»Weder noch. Die beiden haben sich den Rest des Abends
ignoriert.«
    Â»Neigt Ihr Vater zur Gewalttätigkeit?«
    Liv verneinte widerstrebend, aber aufrichtig. Utz Engel ist ein
ganz anderer

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