Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
aufbauen.«
    Liv kann mit seinem Temperamentsausbruch wenig anfangen. »Was
aufbauen? Ich will nichts aufbauen.«
    Â»Wieso nicht? Jetzt hast du vielleicht die letzte Chance,
seine Erziehung positiv zu beeinflussen.«
    Â»Wenn zwischen Aaron und mir alles so bleibt, wie es im
Augenblick ist, bin ich zufrieden. Ich bin doch gar nicht in der
Position,Aaron zu erziehen, der bekommt sowieso genug Druck von zu
Hause. Ständig ruft sein Vater an, um Schulnoten abzufragen,
nach jedem Pipifax-Vokabeltest. Ich halte mich da raus.«
    Â»Wenn du meinst.«
    Â»Ja, meine ich. Themenwechsel.«
    Max reibt sich mit Daumen und Zeigefinger über das glatt
rasierte Kinn. Der Versuch, seiner Stimme einen belustigten Unterton
zu verleihen, missglückt. »O Gott, Liv. Aufbauen ist echt
nicht dein Ding.«
    Unverkennbar ein Janko-Satz, und was für einer. Schade, sehr
schade. Und obendrein falsch. Sie haben ja irgendeine Art von Anfang
gemacht,Aaron und sie, aber sie bleiben vorsichtig, trampeln nicht
gleich mit bedeutungsschwangeren Worten darauf herum.
    Â»Du kennst mich schlecht, Max«, sagt sie. »Lass
uns von etwas anderem reden.«
    Â» Okay.«
    Doch ein anderes Thema ergibt sich nicht.
    Â 

Das Recht zu verschwinden
    Notgedrungen legt sie den Weg zur Schrebergartenkolonie an der
Wakenitz mit dem Fahrrad zurück. Das Auto steht noch vor dem
Haus der Großmutter in St. Gertrud, unmöglich, es zu
holen, ohne an der Tür zu läuten und um Verzeihung zu
bitten, was sie nicht will, zumindest noch nicht. Entgleisung und
Abbitte – die Gezeiten ihres Lebens. So stehlen sich die Jahre
davon, denkt Liv, sie wird älter, aber lernt nicht aus Fehlern,
jede Selbsterkenntnis und jeder Vorsatz, sich zu ändern, werden
durch eine neue Flut hinweggeschwemmt. Vielleicht sollte sie sich die
Entschuldigungen sparen, die von Mal zu Mal schaler daherkommen. Die
Wahrheit lautet: Sie hängt an ihrer Wut.
    Eigentlich ein schöner Tag für eine Radtour. Der
Sonnenschein, die laue Luft. Nach dem Regen ist die Vegetation über
Nacht explodiert. Wo man hinsieht, blüht und keimt es, dazu
Vogelgezwitscher, die Amseln wie auf Drogen. Liv fährt einen
Umweg, entscheidet sich, den Ausflug als Entspannung einzustufen –
mit einem Schlenker zur Laube, um nach dem Rechten zu sehen. Was sie
vermeiden will: inneren Aufruhr, also jeden Gedanken an das
Verschwinden ihres Großvaters. Sie bekommt Herzklopfen vor
lauter Vermeidungsbemühungen.
    Â»Bitte, sei da«, flüstert Liv, als die Kolonie in
Sicht kommt. Hochbetrieb auf dem Gelände: Pflanzzeit, die
Kleingärtner sind in ihrem Element.Auf den Wegen spielen Kinder,
Rasenmäher brummen, es wird gegrillt. Plötzlich der
Eindruck schwindenden Lichts, als hätte sich eine Wolke vor die
Sonne geschoben. Doch der Himmel ist nahtlos blau. Liv blinzelt
irritiert.
    Â»Bitte, sei da.« Sie öffnet die Gartenpfote.Alles
wie immer. Oder? Das Tulpenbeet sieht verwildert aus. Und wenn schon.
Das spricht nicht gegen seine Anwesenheit, denn Tönges'Augenmerk
gilt vor allem dem Anbau von Obst und Gemüse. Er könnte da
sein und Mittagsschlaf halten, darauf legt er Wert. Die Gardinen vor
den beiden Fenstern der Holzhütte sind zugezogen. Na also, er
könnte da sein.
    Ist er aber nicht. Sonst wäre die Tür offen. Liv findet
den Schlüssel wie gewöhnlich versteckt im Vogelhäuschen
und verschafft sich Zutritt.
    Â»Hallo?«
    Keine Antwort – was sonst hat sie erwartet? Kein schlafender
Tönges, empört über die Störung. Sein alter
Koffer aus Kunstleder, halb ausgepackt, liegt auf der Couch, und ein
Winterparka aus seinem Besitz hängt an der Garderobe. Was fehlt,
ist die rote Coca-Cola-Sporttasche, die er auf gemeinsamen Reisen zu
irgendwelchen Großaufträgen meistens dabei hatte. Ein
Werbegeschenk. Und sein Lieblingskleidungsstück: eine
dunkelblaue Cabanjacke. Vermutlich trägt er sie gerade, wie an
den meisten Tagen im Jahr.
    Â»Wo steckst du bloß?« Liv flüstert nicht
mehr, sie redet in normaler Lautstärke, spricht ins Leere wie
eine alte Frau. Der Drang, auf diese Weise mit ihrem Großvater
in Verbindung zu treten, hat etwas Befremdliches,vor allem weil sie
nicht sehr weit davon entfernt ist, sich einzubilden, er könne
sie tatsächlich hören. Sie ruft sich zur Vernunft. Noch
einmal scheitert ein Versuch, Tönges telefonisch zu erreichen.
    Dann inspiziert sie

Weitere Kostenlose Bücher