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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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die Laube. Knapp vierzig Quadratmeter mit
Siebzigerjahre-Einrichtung: eine Küchenzeile grün wie
Erbsensuppe aus der Dose, dazu passend die Wachstischdecke auf dem
Tisch, zwei Stühle, eine Klappbank mit Stauraum für Tüten
und Zeitschriften, die Ständerlampe in Orange, das braune Sofa,
auf dem es sich gut übernachten lässt, wie sie aus eigener
Erfahrung weiß, eine Schlafkammer für die Eheleute, ein
winziges Bad, sogar mit Dusche und WC. Nichts hat sich verändert,
seit sie im Vorschulalterhier gespielt hat. Im Kühlschrank
findet Liv Butter, eine Tüte Milch, ungeöffnet und laut
Verfallsdatum bereits ungenießbar, eine angeschnittene Salami,
eine fast leere Flasche Riesling und ein Stück Höhlenkäse.
Im Brotkasten schimmeln zwei Brötchen.
    Tönges hat die Hütte bezogen und geplant, eine Weile zu
bleiben, das steht fest, sonst wäre ja auch der Koffer mit
seinen Sachen nicht hier. Dass er den Schrebergarten nach der
Scheidung weiter bewirtschaften wollte, dafür sprechen die
Päckchen mit Gemüseaussaat, die er auf dem Tisch
bereitgelegt hat, ordentlich aufgereiht, eines neben dem anderen, als
wolle er sich bei nächster Gelegenheit an die Arbeit machen. Was
also hat ihn dazu gebracht, seine Pläne zu ändern?
    Liv zieht es zurück ins Freie, wo diese seltsam düstere
Helligkeit sie schaudern lässt. Beim Betrachten der Muttererde
in den brachen Beeten gibt sie ihren Widerstand auf, außerstande,das
Offensichtliche länger zu verleugnen: Tönges Engel ist auf
und davon. Das sieht ihm ähnlich, ihnen so einen Schreck
einzujagen.
    Sie ruft ihre Großmutter an, um das weitere Vorgehen
abzusprechen. Henny reagiert ungehalten. »Können wir das
nicht am Montag bereden? Ich bin in Eile.«
    Â»Ja, aber wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Ruf die
Polizei an und melde ihn als vermisst.«
    Â»Das habe ich bereits heute Morgen getan.«
    Â»Und?«
    Â»Und was?«
    Â»Was haben die gesagt? Was werden sie unternehmen?«
    Â»Nicht sehr viel vermutlich. Sie haben ein Protokoll
aufgenommen.Da Tönges nicht krank oder verwirrt ist oder auf
andere Art Hilfe benötigt...«
    Liv unterbricht sie. »Das können die doch gar nicht
wissen, ob er Hilfe benötigt.«
    Â»Nun ja, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, war er
quicklebendig und schneller auf dem Rad unterwegs als die meisten
jungen Leute.«
    Das Fahrrad – verdammt. Danach hat sie noch nicht gesucht.
Seit einem Unfall vor fünf Jahren, bei dem er seinen alten Audi
zu Schrott fuhr, erledigt Tönges alle Wege zu Fuß, mit
öffentlichen Verkehrsmitteln oder eben mit seinem geliebten
Fahrrad. Liv schaut in den Schuppen. Nichts zu sehen außer
Gartengeräten.
    Â»Weißt du, wo Tönges' Rad ist?«
    Lautes Seufzen. »Liv, ich bin verabredet. Sollen wir uns
Montagnachmittag bei Niederegger treffen?«
    Â»Meinetwegen.Aber kannst du nicht kurz in der Garage
nachsehen?«
    Â»Das Rad ist nicht hier. Zerbrich dir jetzt bitte nicht zu
sehr den Kopfüber deinen Großvater. Es ist ja früher
bereits vorgekommen, dass er sich für eine Weile aus dem Staub
gemacht hat.«
    Â»Ja, zum Angeln. Aber doch nicht für so lange Zeit.«
»Lass uns Montag darüber reden. Passt es dir um vierzehn
Uhr?«
    Was soll sie darauf antworten? Montage sind meistens
anstrengend,sie hat viel zu tun. Nein, es passt ihr nicht, nicht um
vierzehn Uhr, auch nicht morgens um zehn oder abends um acht. Die
ganze Sache passt ihr nicht. Doch sie hängt leider bereits
mittendrin.
    Die Hüfte wird nicht wieder, das hat sie im Gefühl.
Fritzi schafft es morgens kaum aus dem Bett und muss sich auch
tagsüber oft hinlegen, um auszuruhen. Sie ist es nicht gewohnt,
krank zu sein. Wenn sie nicht vor sich hindämmert, schimpft sie
auf die Kühe, die schuld an dieser Misere sind, und auf das
schöne Wetter. So still und mild. Unnatürlich hierzulande.
Wie ein Besucher, der die Gutmütigkeit seiner Gastgeber schamlos
auf die Probe stellt, klebt die Sonne täglich zehn Stunden und
mehr an einem eisblauen Himmel. Fritzi traut dem Frieden nicht.
    Auch nicht,als eine Ansichtskarte aus Deutschland eintrifft,
darauf abgebildet das Holstentor zu Lübeck.Auf die Rückseite
hat der Enkel außer ihrer Adresse drei Worte gekritzelt: »Alles
wird gut.« Der Poststempel besagt: Die Karte war lange
unterwegs, ist vermutlich irgendwo zwischen der

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