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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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größeren
Gruppen. Sie schaut sich um. Ihr letzter Besuch in dem Café
liegt Jahre zurück, aber nichts hat sich verändert, die
gestärkten Gardinen, die Messingleuchter, viel Rot, wenig Licht,
die Kellnerinnen in Schwarz mit weißen Schürzchen.
Erinnerungen an Schulausflüge: Wie aus Mandeln Marzipan entsteht
– das faszinierte Liv, die vom Unterrichtsstoff oft
gelangweilte Schülerin, ebenso wie die Geschichte des
Familienbetriebs, besonders die Zerstörung der alten Fabrik
durch Bomben im Zweiten Weltkrieg. Sowie die Tatsache, dass vor
zweihundert Jahren Mandeln und Zucker für Niederegger über
Helgoland nach Lübeck geschmuggelt werden mussten, weil Importe
aus England unter Napoleon verboten waren. Sie weiß noch, wie
sie erwogen hat, nicht Sprengmeisterin zu werden, sondern aufs
Schmuggeln umzusatteln, da ihr dieser Beruf spannender erschien.
    Energisches Winken von einem Tisch am Fenster. Henny erwartet sie.
Wie ihre ausufernden Bewegungen vermuten lassen, versucht sie schon
länger, Livs Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    Â»Du bist spät dran«, tadelt die alte Dame, sobald
Liv in ihrer Nähe ist. Sonst kein Wort zur Begrüßung.
Sie reichen einander geziert die Hände.
    Liv entschuldigt sich ohne Bedauern. Sie hat den ganzen Morgen an
langwierigen Berechnungen gesessen, Erschütterungsauswirkungen
beim Abriss eines Bunkers in Hamburg, dann Kundengespräche, sie
kann jetzt das Geschäft nicht vernachlässigen, nur weil
Tönges unauffindbar ist. Sie will sich nicht an diese Geschichte
verlieren. »Die Arbeit, du weißt schon.«
    Henny sieht nicht aus, als hätte sie Verständnis. »Du
hast um dieses Treffen gebeten, nicht ich.«
    Â»Ja, und ehrlich gesagt, erstaunt mich dein Sinneswandel«,
sagt Liv und blättert in der Speisekarte.
    Â»Welcher Sinneswandel?«
    Â»Am Freitag warst du wegen Tönges noch ganz aufgelöst,
inzwischen scheint es dir völlig gleichgültig zu sein, wo
er ist und was aus ihm wird.«
    Eine Kellnerin kommt und fragt nach ihren Wünschen. Liv
entscheidet sich für Kaffee, ihre Großmutter ordert Tee
und Nusstorte. Anschließend Schweigen.
    Â»Ich habe in der Zwischenzeit mit meinem Rechtsanwalt
gesprochen«, sagt Henny schließlich widerstrebend, einen
verhärmten Zug um die Mundwinkel. »Er sagte mir, ich könne
mich nach einem Jahr auch in Abwesenheit von Tönges scheiden
lassen.«
    Das ist es also. Liv schüttelt den Kopf. Sie kann schwer
akzeptieren, dass Henny ausschließlich die Sorge um ihre eigene
Zukunft beschäftigt. Nach fast mehr als sechs Jahrzehnten an der
Seite ihres Mannes müsste sein Verschwinden doch irgendeine Art
von Verlust für sie darstellen, und sei es nur wegen der
Ungewissheit.
    Die Bestellung wird gebracht. Henny isst mit großem Appetit,
während Liv nur die Sahne im Kaffee umrührt, statt zu
trinken. Mit jedem Bissen Nusstorte wird das runde Gesicht ihrer
Großmutter zufriedener, zuletzt kein Zeichen mehr von Harm.
    Liv, mit einem Wirrwarr von Fragen zu dem Treffen aufgebrochen,
hat Mühe, sich zu sammeln. Bevor es ihr gelingt, geht Henny in
die Offensive. »Wie ich höre, hast du der Polizei von
unserer kleinen Auseinandersetzung im Familienkreis berichtet. Das
war nicht nett. Du kannst dir ja denken, wie enttäuscht dein
Vater von dir ist.Er ist aus allen Wolken gefallen, als der Kommissar
ihn darauf angesprochen hat.«
    Liv rührt im Kaffee und zuckt mit den Schultern. Sie ist seit
jeher eine Enttäuschung für ihren Vater, so wie er für
sie. »Ich zitiere: >Dieser Dreckskerl von einem Ehemann und
Vater soll verschwinden. Am besten für immer. Wir brauchen ihn
nicht.< Das waren exakt Papas Worte. Da Tönges inzwischen
tatsächlich verschwunden ist, dachte ich, sie wären
vielleicht ermittlungs relevant. Aber leider wird es ja keine
Ermittlungen geben.«
    Â»Und das ist auch gut so. Hast du ernsthaft geglaubt, Utz
hätte etwas mit Tönges' Verschwinden zu tun?«
    Â»Man könnte seine Beschimpfungen zumindest als Drohung
interpretieren.«
    Henny sehr sachlich: »Du weißt, in welchem
Zusammenhang Utz das alles gesagt hat. Er würde seinen Vater nie
bedrohen. Er war aufgewühlt wegen unserer Trennung, weil er
dachte, Tönges lässt mich im Stich.«
    Â»Also wusste er nichts von deiner Affäre«, sagt
Liv, worauf Henny den Kopf schüttelt und sich

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