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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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erführe«, schließt Henny,
die mit großer Neutralität geredet hat, fast wie über
eine dritte Person.
    Â»Und welche Geschichte hast du ihm erzählt?«
    Â»Die von Tönges' zweitem Verschwinden, als Utz vier
Jahre alt war und Edith gerade eins, ein Krabbelkind. Er ging morgens
normal zur Arbeit, kam von der Mittagspause nicht zurück und
blieb vier Monate fort, ohne sich bei irgendwem zu melden. Das
kostete ihn natürlich seine Stellung. Es war ein guter Posten
beim Land Schleswig-Holstein. Schade drum, er hätte verbeamtet
werden können. Stattdessen hat er nach seiner Rückkehr die
Firma gegründet. Na ja, finanziell ist es uns damit auf Dauer
auch nicht schlecht gegangen, aber der Anfang war ziemlich hart.«
    Ein Beamter als Ehemann wäre Henny lieber gewesen, das ist
leicht zu erraten. Die geregelten Arbeitszeiten, die Urlaube, die
großzügigen Sozialleistungen für Angehörige.
Zumal sie selbst aus einer Beamtenfamilie stammt, soweit Liv bekannt
ist. Ihr Vater war bei der Eisenbahn.
    Â»Wie war es, als Tönges zurückkam? Hat er dir
gesagt, wo er so gewesen ist? Oder sich entschuldigt?«
    Henny lacht auf. »Tönges und sich entschuldigen? Liv,
ich bitte dich, du kennst ihn. Nein, er stand einfach eines Tages in
der Küche, schlampig, unrasiert und eindeutig nicht von größeren
Gewissensbissen geplagt. Er hat keine Fragen beantwortet und meine
Vorwürfe schlichtweg überhört. Immerhin gab er sich in
den Wochen danach Mühe, mich zu entlasten, indem er sich ab und
zu mit seinem Sohn beschäftigte. Meistens gab es dabei Tränen.«
    Liv kann es sich lebhaft vorstellen.
    Die Kellnerin eilt herbei, um mit energischen Bewegungen den Tisch
abzuräumen. Ihre Frage, ob sie noch etwas bringen dürfe,
gerät zur Aufforderung. Der Platz am Fenster ist begehrt, im
Eingang stehen neue Kunden und warten, Kunden mit größerem
Hunger auf Torte als Liv. Sie bestellt Baumkuchen, ihre Großmutter
ein weiteres Kännchen Tee. Dann haben sie wieder Ruhe.
    Â»Komisch, dass ich nie etwas davon erfahren habe«,
sagt Liv.
    Â»Liebes, du warst eine Ausreißerin von Anfang an, und
du hast deinen Großvater vergöttert. Hättest du diese
ganzen alten Geschichten gekannt, wärest du deinen Eltern
womöglich noch öfter ausgebüxt.«
    Â»Kann sein.« Liv bemüht sich um ein Lächeln,
und es tut kein bisschen weh. Im Gegensatz zu Freitag macht es ihr an
diesem Nachmittag relativ wenig aus, sich Hennys Vorstellung von
einer gepflegten Konversation zu unterwerfen.
    Â»Und wieso hat sich Tönges damals davongemacht?
AusAbenteuerlust?«
    Â»Das glaube ich weniger«, antwortet Henny, »denn
die konnte er ja in seinem Beruf halbwegs befriedigen. Dauernd war er
mit den Kollegen unterwegs, alles so Draufgänger wie er. Nein,
ich schätze, er hat nach seiner Schwester gesucht. Ich habe
keine Ahnung, wo.«
    Â»Moment, langsam, ich kann nicht folgen. Ich dachte, die ist
tot.«
    Henny hebt die Brauen. »Inga? Nein. Offiziell gilt sie immer
noch als vermisst, obwohl es natürlich sein kann, dass sie
inzwischen verstorben ist.«
    Baumkuchen und Tee werden serviert. Eine andere Kellnerin diesmal,
jünger und weniger routiniert.
    Unterdessen versucht Liv, sich mit der Neuigkeit vertraut zu
machen. Es gelingt ihr nicht, sie fühlt sich vorgeführt.
»Diese Inga ist ebenfalls verschwunden?«
    Â»Ja. Wusstest du das nicht? Das überrascht mich. Ich
dachte, Tönges hätte mit dir über sie geredet. Es
machte ihn fertig, nicht zu wissen, wo sie steckt. Er hat sie sehr
gemocht. Im Grunde war sie der einzige Mensch, der ihm überhaupt
jemals am Herzen lag, abgesehen von dir. Vielleicht.« Sie hebt
den Deckel der Teekanne und fächelt den Dampf in ihre Richtung,
bevor sie eingießt, scheinbar angetan von ihrer Wahl. Rotbusch
Orange. Liv findet, jeder Tee riecht besser, als er schmeckt.
    Â»Ich hätte wirklich darauf wetten mögen, dass
Tönges sich mit dir über seinen Kummer wegen Inga
ausgetauscht hat«, murmelt Henny mehr zu sich selbst.
    Â»Hat er aber nicht. Um ehrlich zu sein, wusste ich lange
überhaupt nichts von ihrer Existenz. Bis neulich, da hat er sie
im Nebensatz erwähnt. Ohne auch nur ihren Namen zu nennen.«
Liv ist gekränkt. Sie hat sich immer für Tönges'
engste Vertraute gehalten. Jetzt wird sie den Verdacht nicht los,
dass sie ihre Stellung

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