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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Morgen
in der Lage, ihr Hochzeitsfoto vom Nachttisch zu nehmen, eine
Schwarzweißaufnahme, grobkörnig und überbelichtet,
und sich bei seinem vertrauten Anblick einzugestehen: »Ja, es
war Glück.«
    Ihre erste Begegnung am Abend ihrer Ankunft: Die künftigen
Schwiegereltern haben ordentlich Essen aufgefahren, lauter
einheimische Spezialitäten: gesengter Lammkopf, fermentierter
Hai, Kopfsülze und gekochte Blutwurst, zum Trinken Schnaps und
Molke. Fritzi verspürt bereits beim Geruch der Speisen leichten
Brechreiz. Umso erleichterter ist sie daher, als der Sohn des Hauses
ihr in jedem unbeobachteten Moment etwas vom Teller stibitzt, um es
blitzschnell zu verschlingen, natürlich nicht ohne sich vorher
mit einer unausgesprochenen Frage ihre Erlaubnis geholt zu haben. Er
konnte sich überhaupt sehr gut mit Blicken verständigen,
was gerade am Anfang praktisch war, weil man jain verschiedenen
Sprachen redete.
    Ansonsten war Jón eher schüchtern. Wenn sie Seite an
Seite arbeiteten, berührte er sie ab und zu wie aus Versehen,
das war auch schon alles, was er an Annährungsversuchen
unternahm. Sie war ihm keine Hilfe, genoss allerdings die kurzen
Momente menschlicher Wärme in dem kalten isländischen
Sommer.
    Der erste Kuss an einem Nebeltag: Sie sind beim Heumachen, als die
Berge und das Meer verschwinden. Eben noch Sonnenschein, dann sehen
sie, wie die weißen Schleier vom Wasser her aufziehen, und auf
einmal ist Bjarg ein verwunschener Ort.Ein Gespinst aus
Perlenschnüren senkt sich über das Gras und auf die
verschwitzten Häupter der Landarbeiter. Sogar Jóns
stumpfblonder Schopf glitzert im silbrigen Schein, denn es ist ein
feiner Nebel, durchlässig für die warmen Strahlen der
Sonne. Der Duft des Grases wird intensiver, je stärker die Sicht
schwindet, alles duftet rein und prall: die Blumen, die Erde, der
Ozean und, ja,auch Jón an ihrer Seite. So kommt eines zum
anderen.
    Am selben Abend erzählte Jón ihr von dem Fluch, der
seine Brüder angeblich bereits das Leben gekostet hatte, von der
Ãœberzeugung war er nicht abzubringen, und er stellte es ihr frei
zu gehen, bot sogar an, für eine Anstellung auf einem anderen
Hof zu sorgen. Doch was andere Frauen verjagte, war für Fritzi
ein Grund zu bleiben,nicht nur weil sie jegliche Spukgeschichten
damals für Unfug hielt. Denn obgleich sie und Jón
ansonsten nicht viel gemeinsam hatten, war etwas gefunden, das sie in
Zukunft verbinden und für mehr gegenseitiges Verständnis
sorgen würde, als jede Verliebtheit es vermag: Sie waren beide
tragische Gestalten. Diese Erkenntnis, so beruhigend sie war, behielt
Fritzi für sich, solange Jón lebte.
    Auf dem Weg zurück zum Anleger, den Liv im Schlendergang
zurücklegt, Gitarrengeklimper und die Würze von Lagerfeuer.
Sonnenuntergang. Wer jetzt außer ihr noch am Strand spaziert,
hat jemanden zum Händchenhalten. Es gefällt ihr, allein
unterwegs zu sein, weshalb sie im ersten Augenblick wenig begeistert
ist, als ihr auf dem Boot ausgerechnet Max begegnet. Sie steht am
Heck, die Viermastbark Passat im Blick, da hört sie ihn rufen
und wendet sich um. »Was machst du denn hier?«
    Er kauert auf der Bank in der Mitte des Decks, eingequetscht
zwischen Pärchen, und sieht zum Umfallen müde aus. Sein
blau kariertes Hemd ist zerknittert, als hätte er mehrfach darin
genächtigt. »Das wollte ich dich auch gerade fragen. Ich
dachte, du arbeitest.«
    Liv, wie beim Schwänzen ertappt: »Das habe ich ja
auch.Aber dann musste ich dringend mal raus.«
    Â»Ach so. Ging mir genauso.« Er steht auf und gibt ihr
mit sandigen Lippen einen flüchtigen Kuss, sein Atem riecht nach
Bier. »Schön, dich zu sehen.«
    Â»Gleichfalls«, entgegnet sie artig.
    Max, von zu viel Sonne merklich benommen, will noch nicht nach
Hause, sagt, er habe am Strand gedöst und müsse nun nur
richtig wach werden. Also promenieren sie zur Norder Mole, Hand in
Hand, vom Schatten des Maritim-Hochhauses um die letzten Strahlen der
milchigen Sonne gebracht. Fünfunddreißig Stockwerke, für
die Region so etwas wie ein Wolkenkratzer.
    Â»Wieso musstest du mal raus?«, fragt Max, als sie den
Molenkopf erreicht haben. »Stress im Betrieb?«
    Schulterzucken. Liv mag nicht reden, ihn nicht mal gern ansehen in
seinem zerknitterten Hemd, Alkohol ausdünstend, und schaut
angestrengt weg, mustert Passanten und wird

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