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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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sich das
Telefon sofort zurückzuholen.Damit sie es vor Ort anrufen kann,
will sie Aarons iPhone borgen, was ihm überhaupt nicht
passt.Anstatt lange zu diskutieren, nimmt sie ihn mit.
    Als sie in Herrenwyk ankommen, ist es dunkel, der Abendhimmel
wolkenverhangen, kein Mond.
    Â»Na toll.« Liv hat nicht an eine Taschenlampe gedacht,
also parkt sie so, dass die Scheinwerfer zumindest einen Teil des
Geländes erhellen, und befiehlt ihrem Sohn, im Auto zu warten.
    Â»Boah, wie öde.«
    Â»Du hättest zu Hause bleiben können.«
    Â»Na toll.« Er öffnet die Tür, als wolle er
aussteigen, bleibt aber sitzen und schaltet das Radio ein.
    Liv muss klettern, seit heute besitzt sie keinen Schlüssel
mehr für das Vorhängeschloss am Bauzaun. Sie spürt,
wie Aaron sie vom Beifahrersitz aus beobachtet, versucht, eine
halbwegs gute Figur zu machen, und fragt sich, was er über sie
denkt. Manchmal ist es besser, nicht zu genau Bescheid zu wissen.
    Sie landet unsanft auf beiden Füßen und löst damit
eine Staubwolke aus, die sie zum Husten bringt. Nach einer Woche ohne
Regen ist das Trümmerfeld völlig ausgetrocknet, die reinste
Wüste. Auf der anderen Seite des Zauns hört Liv ihren Sohn
lachen, droht, von den Scheinwerfern geblendet, mit dem Zeigefinger
in seine Richtung, bevor sie sein iPhone nimmt und ihre eigene Nummer
wählt. Freizeichen. Sie lauscht angestrengt, kann aber nichts
hören außer den Bässen ihres eigenen Autoradios.
Dieser Trottel. Sie will ihm ein Zeichen geben, doch das ist
unnötig.Als hätte er ihre Gedanken gelesen, dreht Aaron die
Musik leiser. Immer noch Freizeichen. Immer noch kein Klingeln.
    Hilft alles nichts. Sie muss ans andere Ende. Die Nacht ist warm
und schwer und umhüllt sie wie eine Decke. Zu ihrer Rechten
ragen die Ãœberreste der Fabrik in den sternenlosen Himmel, ein
unordentlicher Haufen Steine, der Umriss eine zackenförmige
Linie. Der Geruch von altem Mörtel. Liv kann nicht anders, sie
muss einen Augenblick verharren und staunen, dass dies hier ihr Werk
ist. Die Gewissheit, jede von Menschenhand errichtete Mauer mit ein
wenig Nachdenken zu Fall bringen zu können, und das in
Sekundenschnelle, hat sie immer schon erhebend gefunden. Zwischen
ihren Zähnen knirschen Sandkörner, ihre Fußgelenke
brennen und erinnern sie daran, warum sie hier ist. Aaron wartet.
    Sie wählt noch einmal. Diesmal hat sie Glück. Irgendwo
weiter hinten erklingen Synkopen, die ersten Takte von »Sentimental«,
einem Lied von Porcupine Tree – ihr aktueller Klingelton. Hat
sie also richtig vermutet: Das Handy ist ihr aus der Tasche
gerutscht. Mit dem festen Vorsatz, das Telefon nie wieder in der
Jeans aufzubewahren, stapft Liv dem Geklimper entgegen. Sie ist schon
ziemlich nah dran, als sie eine Gestalt bemerkt, die sich in die
gleiche Richtung bewegt. Ein Schatten im Dunkel, genau wie sie. Das
Scheinwerferlicht reicht nicht weit genug, um mehr zu erkennen.
    Â»Hey«, ruft Liv, ohne nachzudenken. Bedenken hat sie
keine, dafür geht alles zu schnell. Wie es scheint, hat die
Gestalt das Handy vor ihr erreicht, denn sie bückt sich und das
Klingeln erstirbt.
    Â»Hey«, ruft sie noch einmal.
    Kurzes Zögern, womöglich ein Blick in Livs Richtung, sie
ist sich nicht sicher, dann rennt der oder die andere los, flüchtet
vor ihr, und Liv reagiert instinktiv, indem sie ihm nachsetzt. Es
muss ein Mann sein, so mühelos, wie er sie abhängt.Aber
beim Ãœberwinden des Zauns stellt er sich ungeschickt an, so dass
Liv wieder Boden gutmacht.Von einem kindischen sportlichen Ehrgeiz in
Erregung versetzt, verfolgt sie ihn weiter, findet ihren Rhythmus und
schafft es beinahe, sein Tempo zu halten.
    Der Abstand zwischen ihnen vergrößert sich nur langsam.
Sie laufen jetzt mitten auf der Straße, kein Auto weit und
breit, das Gewerbegebiet ist verwaist, die Straßenlaternen
zerschlagen oder ausgeschaltet, unmöglich zu erkennen, wem sie
da eigentlich nachstellt. Das Hallen ihrer Schritte. Das Hämmern
ihres Herzens. Die Last der schwülwarmen Luft. Liv nimmt jedes
Detail wahr wie eine neutrale Beobachterin, als ob sie zu Hause vor
dem Fernseher säße, dabei fängt sie allmählich
an, sich zu fragen, was dieser Jemand, der da rennt, eigentlich
vorhat. So viel Risiko für ein Handy. Der Dieb könnte
bewaffnet sein, gewaltbereit. Egal. Sie braucht das Telefon. Denn
Tönges kennt die

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